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Einleitung
Das J-Rad.
Seit etwa 25 Jahren ist das Fahrrad in seiner Grundform unverändert geblieben.
Das Hochrad wurde in den 9er Jahren vom Niederrad verdrängt, das seitdem nur
geringfügige Vervollkommnungen prinzipieller Natur, wie Freilaufnabe, verstellbare
Lenkstange usw. erfahren hat. Nicht selten versuchten zwar Erfinder das Fahrrad
von Grund aus zu verbessern, sie hatten aber damit wenig Erfolg, weil die Neue-
rungen keinen erheblichen Vorteil gegenüber dem alten Rad aufzuweisen hatten.
Nun ist es dem in Fachkreisen bekannten Konstrukteur, Oberingenieur Jaray vom
Luftschiffbau Zeppelin Friedrichshafen, gelungen, ein von der seither üblichen Bau-
art der Fahrräder abweichendes und wesentlich verbessertes Fahrrad zu konstruieren.
Die bisherigen praktischen Erfahrungen lassen keinen Zweifel darüber bestehen, dass
es sich hier um eine Erfindung handelt, die für die Entwicklung des Fahrrades von
grösster Bedeutung ist; stellt sie doch dem bisherigen Fahrrad ein neues Fahrzeug
(auch Zweirad) zur Seite, das durch seine grossen Vorzüge einem wirklichen
Bedürfnis der Allgemeinheit entspricht und deshalb überall grosses Interesse erweckt.
Besonders die verhältnismässig grosse Zahl von Personen, die bisher aus Ge-
sundheitsrücksichten auf das Radfahren verzichten musste, wird es sehr begrüssen,
nunmehr ein Fahrzeug zu besitzen, das dem Fahrer grosse Bequemlichkeit und
Sicherheit bietet und allen in gesundheitlicher Beziehung an ein Fahrrad zu
stellenden Anforderungen gerecht wird. Dabei kommt noch in Betracht, dass
durch das neue Fahrzeug auch dieser Personenkreis ein Beförderungsmittel erhält,
dessen Anschaffung 'sich in Rücksicht auf die teuren Verkehrsverhältnisse schon
nach kurzer Zeit lohnen wird. \ ;
Die Aufgabe, die sich der Erfinder beim Entwurf des neuen Rades gestellt hat,
war die Ausschaltung sämtlicher Nachteile des heutigen Zweirades unter Schaffung
eines für jedermann benützbaren Fahrzeuges, das in seinem Aufbau, wie in seiner
Behandlung möglichst einfach und bequem ist.
Bezeichnung
Familienrad
Niederer Sitz
Bequemes und
gefahrloses Auf-
und Absitzen
Leichtes Erlernen
Einstellen des Sitzes
nach der Grösse
des Fahrers
Hebelantrieb
Haltbarkeit
der Drahtseile
Drei Übersetzungs-
stufen ohne
Getriebe
Wir haben die Massenfabrikation dieses neuen Fahrzeugs bereits aufgenommen
und lassen im Nachstehenden eine genaue Beschreibung, die insbesondere auch
für den Nichtfachmann verständlich ist, folgen:
Zu Ehren des Erfinders wurde für die Bezeichnung des Rades der Anfangs-
buchstabe seines Namens gewählt, daher der Name J-Rad.
Aus umstehender Abbildung ist das Aeussere des Rades deutlich zu ersehen.
Es eignet sich zugleich für Damen und Herren, für kleine wie für grössere Personen,
und ist deshalb das ausgesprochene Familienrad, da es sowohl von Mutter und Vater,
wie von Tochter und Sohn benützt werden kann.
Die besondere Art des Antriebs macht eine so tiefe und bequeme Lage des
Sitzes möglich, dass die Füsse jederzeit auf den Boden gestellt werden können. Es
gibt unzählige Fälle, bei denen die Anschaffung eines Fahrrades unterbleibt, weil
der Betreffende vor dem Aufsteigen, besonders aber vor dem Absteigen bei plötzlich
auftauchenden Hindernissen eine unüberwindliche Scheu besitzt.
Die beim bisherigen Fahrrad notwendige mehr oder weniger schwierige
Turnübung bis zur Erreichung des Sattels des sich schon in Bewegung befind-
lichen Rades fällt beim J-Rad weg. Beim Stillstand des Rades nimmt man den Sitz
ein und fährt dann ab. Das Erlernen des Fahrens ist so äusserst leicht und nicht
mit Sturzgefahr verbunden. Will man aber oder „muss“ man halten, so stellt man
die Füsse auf den Boden, was geschehen kann, ohne den Sitz zu verlassen.
Diese Vorteile werden die Fahrer, die in grösseren Städten oder in verkehrs-
reichen Strassen auf den Gebrauch des Fahrrades angewiesen sind, besonders an-
genehm empfinden. Auch Damen und ältere Herren werden diese Neuerung sehr
begrüssen. Durch diese Vorzüge eignet sich das Rad ausserdem auch für Kriegs-
beschädigte, die auf die Benützung eines Fahrrades wegen des hohen Sitzes bisher
verzichten mussten.
Der Sitz kann je nach der Grösse des Fahrers auf einfache Art eingestellt
werden; seine Lage verändert sich dabei weniger nach oben oder unten als nach
vor- oder rückwärts, so dass die Bequemlichkeit des niederen Sitzes für alle Personen,
ob gross oder klein, erhalten bleibt.
Der Antrieb erfolgt nicht wie beim heutigen Zweirad mit Kurbel und Kette oder
Welle, sondern mittels zweier Hebel, die nach vorne getreten werden und bis zu einem
gewissen Grad unabhängig voneinander sind, so dass mit dem Hub des einen Tret-
hebels schon begonnen werden kann, ehe der Hub des anderen zu Ende ist. Der
insbesondere bei steilen Bergen lästige Totpunkt ist also völlig vermieden, sodass
andauernd ein gleichmässiges Treten ohne Druckverminderung ermöglicht ist. Die
Kraftübertragung auf das Hinterrad erfolgt durch einfache Zugorgane (Drahtseile),
die eine grössere Sicherheit bieten wie jede Kette, weil sie aus einer Menge feiner
Drähte zu einem Seil zusammengewirkt sind und ein plötzliches Abreissen, wie das
bei der Fahrradkette durch Brechen eines Gliedes erfolgen kann, unmöglich ist.
Ein Schleifen der Drahtseile kommt nicht vor, weil es sich nicht um ein end-
loses Seil, sondern um drei voneinander unabhängige, begrenzt befestigte Seile
handelt. Auf die Haltbarkeit der Seile ist grösster Verlass, was schon daraus her-
vorgeht, dass im Luftschiff- und Flugzeugbau, sowie bei Beförderungsanlagen, wie
Personen- und Lastenaufzügen, unter den grössten und wechselnden Beanspruchungen
ausschliesslich Drahtseile verwendet werden.
Das J-Rad besitzt kein Zahnrad, keine Kette und keine Welle, trotzdem
jedoch drei Uebersetzungsstufen, die auf der Abbildung deutlich zu sehen sind. Ausser-
dem besitzt es einen beliebigen, ohne jede Vorrichtung veränderbaren Arbeitshub und
Beliebige
Beinbewegungen
Möglichkeit
. grösster Kraft-
entfaltung
Gesundheitliche
Vorteile beim
Fahren
Schonung
der Kleider
Bergfahren
eine Unabhängigkeit der beiden Fussbewegungen in weitgehendstem Maße. Durch
diese verschiedenen Uebersetzungsstufen ist es dem Fahrer möglich, bei einfachem
Umsetzen der Füsse von einer Auflage auf die andere verschiedene Geschwindig-
keiten zu fahren. Getriebe mit verschiedenen Uebersetzungen wurden bereits früher
für normale Fahrräder gebaut, doch waren sie alle mehr oder weniger so kompliziert,
dass sie mit der einfachen Lösung, die das J-Rad bringt, nicht zu vergleichen sind.
Die Beinbewegungen ganz verschiedenartig zu gestalten (kurze oder lange Hube
bezw. einen Fuss auf der mittleren, den anderen auf der unteren Uebersetzungsstufe)
bedeutet für den J-Radfahrer eine Annehmlichkeit, die das heutige Fahrrad eben-
falls nicht bietet.
Die Aufnahme der Fusskraft-Reaktion erfolgt beim J-Rad nicht in derselben
Weise wie beim gewöhnlichen Fahrrad, sondern durch eine breite und angenehme
Rückenlehne, die mit dem Sitz und dadurch mit dem Rahmen verbunden ist. Durch
diese Anordnung und infolge der völligen Ausschaltung des Totpunktes ist die Ueber-
windung plötzlicher hoher Widerstände weit eher möglich als bei der bisherigen Fahr-
rad-Konstruktion. Wer die Möglichkeit der Kraftentfaltung durch Rückenabstützung
sich vergegenwärtigen will, stelle sich mit dem Rücken gegen eine Wand und drücke
mit dem Fuss gegen einen festen Gegenstand, und er wird sich selbst darüber
wundern, welch grosse Kraft sich auf diese Weise auswirken lässt.
Das J-Rad hat neben einer besseren Kraftausnützung für den Fahrer noch weiter
ganz wesentliche Vorteile und Annehmlichkeiten. Die völlig aufrechte Körper-
haltung vermeidet ein Einengen der Lunge, ebenso eine übermässige Bean-
spruchung von Herz und Thorax und bedingt so ein der Gesundheit zuträgliches
Sitzen und Fahren. Der äusserst bequeme, gut federnde gepolsterte Sitz trägt viel
dazu bei, dass der Fahrer lange nicht so früh ermüdet, wie bei dem heutigen Fahr-
rad mit seinem schmalen und unbequemen Sattel. Die bei diesem durch die un-
günstige Armhaltung eintretende starke Ermüdung der Arme ist beim J-Rad ver-
mieden, da durch die niedere Sitzanordnung eine vollständige Entlastung der Arme
erreicht wird, und die Arme lediglich dazu dienen, das Fahrrad zu lenken, ähnlich
wie bei dem Steuern eines Kraftwagens.
Besonders günstig wirkt auch der Wegfall der schmutzigen und öligen Kette,
wie auch die Unmöglichkeit eines Hängenbleibens mit den Beinkleidern. Durch
dieses Hängenbleiben sind mit dem bisherigen Rad — weil der Fahrer in Rücksicht
auf seine Kleider oder aus Bequemlichkeit Klammern oder eine sonstige Schutz-
vorrichtung nicht benützte — schon sehr viele und oft recht schwere Unfälle passiert.
Das unangenehme Verstellen der Pedale, sowie ein Verbiegen derselben fällt eben-
falls weg. Bei schlechtem Wetter macht sich das Fehlen der Kette besonders an-
genehm bemerkbar, da sich an den Drahtseilen weit weniger Schmutz festsetzen kann
als an einer Kette. Inwieweit eine mit Schmutz überzogene Kette lähmend auf die
Vorwärtsbewegung des Rades einwirkt, brauchen wir wohl nicht weiter auszuführen.
Das J-Rad eignet sich ebenso für die Ebene wie für bergiges Gelände. Durch
die drei Uebersetzungsstufen kann sich der Fahrer ganz dem Gelände anpassen
(bei Bergfahrten durch Benützung der untersten Stufe, auf der infolge des langen
Hebels bei geringstem Kraftaufwand die grösste Steigerungsmöglichkeit der Fuss-
kraft besteht). Im allgemeinen kann jede normale Strasse gefahren werden. Bei
unseren Probe- und Vorführungsfahrten sind längere Steigungen bis zu 20 % ohne
Schwierigkeiten gefahren worden. Genaue Zahlen ein für allemal anzugeben ist
nicht möglich, da nicht nur die Steigung selbst, sondern auch die körperliche Be-
schaffenheit des Fahrers ausschlaggebend ist. Naturgemäss erfordert das Befahren
besonders grosser Steigungen einen gewissen Kraftaufwand, da die Fortbewegung
des Rades nicht durch motorischen Antrieb erfolgt.
#
Fahren auf der
Ebene
Geschwindigkeit
Verkehrsrad
Freilauf
Bremsen
Abmessungen
Regenschutz-
Vorrichtung
- Kindersitz
Gepäckträger
Laterne
Ausführung
Beim Fahren auf der Ebene lässt sich mit dem J-Rad dieselbe Durchschnitts-
Geschwindigkeit erreichen wie mit dem gewöhnlichen Fahrrad. Wenn mit dem
gewöhnlichen Rad ein Vorsprung .erzielt wird, bezieht sich der Vergleich auf kurze
Strecken; nach längerem Fahren wird der Vorsprung ausgeglichen, da der J-Radfahrer
nicht so früh ermüdet wie der andere. Bei Gefälle ist wie bei grossen Steigungen
eine Ueberlegenheit des J-Rades vorhanden.
Im übrigen ist die ganze Konstruktion des J-Rades nicht auf ein Renn-
oder Sportsrad gerichtet; es soll vielmehr der Allgemeinheit dienen als ein
bequemes, leicht laufendes Verkehrsfahrzeug.
Bei Talabwärtsfahren benützt der J-Radfahrer den Freilauf, wobei er noch die
Annehmlichkeit hat, beide Füsse in bequemster Lage nebeneinander stellen zu können.
Wird das Rad von Hand geschoben, so stehen die Trethebel ruhig, und da weder
Kette noch sonst ein sich bewegender Teil vorhanden, so ist die Gefahr einer Be-
schmutzung oder Beschädigung der Kleidungsstücke gänzlich ausgeschlossen.
Bei plötzlich auftretenden Hindernissen stehen dem Fahrer zwei getrennt von
einander und gut wirkende Felgenbremsen, je eine für das Vorder- und Hinterrad,
zur Verfügung.
Das Vorderrad hat 20 Zoll und das Hinterrad 26 Zoll Durchmesser (Normal-
Räder). Die Gesamtlänge des Rades beträgt 195 cm.
Zum Schutze des Fahrers gegen Regen und Staub kann eine später von uns
zu beziehende Schutzvorrichtung angebracht und crne sowie hinten befestigt werden,
sodass der Fahrer vollständig geschützt ist. P+ '.ı heutigen Rad ist eine Befestigung
schon deshalb nicht möglich, weil der F.iirer beim plötzlichen Auftauchen von
Hindernissen abspringen muss, während er J-Radfahrer, wie beim Motorrad, seinen
Sitz beibehält und die Füsse auf der Lieden stellt.
"An der’ vorderen Partie des J-Nades ist die Anbringung eines Kindersitzes oder
Gepäckträgers vorgesehen, welc' = ebenfalls von uns bezogen werden können.
Für eine Laterne ist eisı entsprechende Vorrichtung, ähnlich wie beim heutigen
Rad, angebracht.
Die Ausführung des Rades, das durch seine stabile Bauart etwas schwerer ist
als ein gewöhnliches Tourenrad, ist erstklassig. Bestes Material von anerkannt
leistungsfähigen Fabriken wird für den Bau verwendet. Die Nabe stammt von der
weithin bekarınten Firma Fichtel & Sachs in Schweinfurt, der Name dieses Fabrikats
bürgt für die Dauerhaftigkeit. Vorderrad sowie Hinterrad haben Nickelfelgen, sodass
alles in allem das J-Rad nicht nur ein bequemes und angenehmes Fahrzeug ist,
sondern auch in Bezug auf Ausstattung einen eleganten und feinen Eindruck macht.
Jaray J-Rad Faltblatt 1920er Jahre
- Von
- 1920 - 1929
- Seiten
- 3
- Art
- Faltblatt
- Land
- Deutschland
- Marke
- Jaray
- Quelle
- Andreas Zwicklbauer
- Hinzugefügt am
- 01.01.2024
- Schlagworte
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Änderungshistorie
- 23.01.2024: "1920-1929" statt "1920-1920"