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Sonderdruck aus „Radmarkt und Reichsmechaniker”
Nr: 2325 vom 1421221933.
Fahrrad mit Zweigang-Kettengetriebe
Aussichtsreiche Neuschöpfung der Fahrradwerke Bismarck A.-G.
Kurz vor Jahresschluß sind die Bismarck-Fahrradwerke mit
einer Neuheit hervorgetreten, die allgemeine Ueberraschung
hervorrufen wird. In Bergerhof (Rheinland) ist man von jeher
bestrebt, erstklassige Fahrräder und hochwertige Fahrradteile
herauszubringen. Darüber hinaus hat sich das Werk unter der
Leitung des äußerst rührigen Direktors Göckel, eines hervor-
ragenden, in der Fahrradbranche bereits seit 40 Jahren tätigen
Fachmannes, immer wieder bemüht, das Fahrrad als Sport- und
Verkehrsgerät technisch zu verbessern und seine wirtschaftliche
Verwendbarkeit zu steigern. Ich erinnere nur an die leichte
Straßenrennmaschine, dieBismarck im Jahre 1927 herausbrachte.
Durch weitgehende Verwendung einer Leichtmetall-Legierung
„Constructal” konnte das Gewicht der kompleiten Maschine bis
auf 20 Pfund heruniergedrückt werden.
Diejetzige Weihnachtsüberraschung für das gesamte Radfahr-
wesen bildet das im Tretkurbellager vollständig verkapselt ein-
gebaute Bismarck-Zweiganggetriebe. Ich hatte
Gelegenheit, im Auftrage der Schriftleitung des „Radmarkt und
Reichsmechaniker” das neue „Berg wie Tal“-Modell der
Bismarck-Werke gründlich auszuprobieren. Es wäre voreilig,
Ansicht des Getriebekastens, der
das Zweigang-Getriebe im ge-
kapselten Ölbad enthält.
jetzt schon ein abschließendes Urteil zu fällen. Aber soviel darf
ich als langjähriger Praktiker, der nunmehr seit einem halben
Jahrhundert mit Leib und Seele Radfahrer ist und dem Fahrrade
unverbrüchliche Treue halten wird, auf Grund meiner bisherigen
Versuchsfahrten unbedenklich zum Ausdruck bringen, daß die
neue Bismarck-Bauart als zweigängiges Kettengetriebe eine
ideale Lösung des Problems der Doppelüberseizung
darstellt. Es ist eine Freude, ja ein Genuß, zu erkennen, wie hier
im Zusammenwirken von edelsten Baustoffen, feinster und
sinnreichster Konstruktionsarbeit und zweckmäßiger Raumge-
staltung und Formgebung ein gewaltiger Fortschritt im
Bau und in der Technik des Tretfahrrades erreicht worden ist.
Gewiß wird es immer Zweifler und mißtrauische Menschen
geben, die der Meinung sind, daß die Entwicklung des Fahrrades
als abgeschlossen zu betrachten ist, daß es also keinen
rechten Sinn habe, grundlegende Veränderungen und Verbesse-
rungen anzustreben. Das sind meist die gleichen Leute, denen
Technik und Qualität völlig,Wurst sind. Für diese Kreise
istdas „Geschäft entscheidend, und darum fordern sie niedrigste
Preise, ohne jede vernünftige Rücksicht auf Güte, Brauchbarkeit
und Lebensdauer der Fahrräder und ihres Zubehörs. Für
den Fahrradhandel und das Fahrradmechanikerhandwerk ist
selbstverständlich die Frage der Preisgestaltung von großer
kaufmännisch-wirtschaftlicher Bedeutung. Der gewissenhafte
und verständige Fahrradhändler und -mechaniker ist aber nicht
lediglich Kaufmann, sondern vielmehr noch Berater und
Betreuer seiner Kunden. Für die technische Erziehung und
Belehrung der radfahrenden Volksgenossen ist der Händler
mitverantwortlich.
Gerade der Radfahrer darf keinen Schund kaufen und damit
den Verkehr und das eigene Leben gefährden. Er muß vielmehr
wieder an gute und beste Qualitäten gewöhnt und
vor zwecklosen und unvernünftigen Geldausgaben für „billige”
Ware zurückgehalten werden. Wir sollten alle Anstrengungen
und Bestrebungen unterstützen, die auf das dem Wohle der
Schlangenhaut-Strahlenkopf.
Steuerung mit Schalthebel und
BISMARCK-Schutzblechmarke.
Volkswirtschafl, dem Gemeinnutz, dienende Ziel gerichtet
sind, höchste Qualität mit größtmöglicher Wirtschaftlichkeit zu
vereinigen. Daß sich die Bismarck -Werke bei der Schaffung
ihres Doppelübersetzungsrades „Berg wie Tal“ von diesen
Gedankengängen haben leiten lassen, zeigt die ungewöhnliche
Gediegenheit in Material, Verarbeitung und Bauart in Verbin-
dung mit den verhältnismäßig niedrigen Verkaufspreisen der
neuen Maschine.
Das Bismarck-Kettengetriebe gelangt bei drei Modellen
(Nr. 15, 16 und 17) zur Verwendung. Nr. 15, das Herrenrad
für verwöhnte anspruchsvolle Fahrer, die auf „hohe Klasse”
b=sonderes Gewicht legen, wird in den Rahmenhöhen 52,5, 55
und 57,5 cm geliefert. Das Damenrad, Nr. 16, hat 52,5 oder
55 cm hohen Rahmen. Ein wahres Glanzstück des modernen
EEE EZ
=
Torpedo- oder Komet-Nabe mit
Rücktritt-Bremse.
ende mit Anschlagkettenspan-
Schutzblechstreben am
Hintergabelende befestigt.
Ausfallgabel-
ner,
Fahrradbaues ist Nr. 17, das Sportfahrrad, entweder in
Straßenrenn- oder in leichter Touren-Ausstattung. Der Straßen-
renner läßt sich durch Anbau derBismarck-SOS-Keiten-Schaltung
und Einbau eines Doppel-Freilaufzahnkranzes in ein Vierfach-
Uebersetzungrad verwandeln.
Nunzudem Kettengetriebaselbst! Das völlig staub-und öldicht
gekapselte Wechselgetriebe arbeitet als Kettengetriebe auf-
fallend sanft und ruhig. Ein,Verschalten ist praktisch unmöglich,
weil beide Getriebeketten während des Tretens ständig mitlau-
fen, und zwar auf DIN genormten Kugelringlagern.,
Im ganzen enthält das Tretlager nebst dem Kettengeiriebe ö.der-
artige Ringlager, also vier mehr als bei einfachen Tretlagern
(mit Ringlagern). Man wird daher einwenden, daß durch die
Reibung der beiden Getriebeketten und der vier Kugelringlager
ein entsprechend höherer Kraftaufwand zu erwarten ist.
Das ist theoretisch wohl richtig, aber bei der Bismarck-Bavart
möge man folgendes berücksichtigen: Der Antrieb der Maschine
ist sozusagen aufgeteilt. Bei der kleinen (Berggang) und
auch bei dergroßen (Normalgang) Uebersetzung läuft diejeweils
eingeschaltete vordere Kette in der Nähe der Mittelebene des
Rahmens. Dadurch wird der Lagerdruck in den beiden
Ringlagern der Tretlagerachse wesentlich günstiger verteilt, als
bei dem üblichen Kettenantrieb derFahrräder, wo dasKettenrad
———n
N)
Herrenräder mit Rahmen-, Da-
menräder mit Sattelwerkzeug-
taschen aus starkem Rindleder.
Die Satteltasche des Damen-
rcdes hat einen besonderen
Werkzeug-Einsotz und ein Fach
zur Aufnahme des Bismarck-
Chromputztuches. Hochwertige,
schlceuchlose Rahmenlufipumpe
aus nahtlos gezogenem Stohl-
rohr mit Zelluloidüberzug, hin-
ter dem Sitzrohr zwischen zwei
Dornen untergebracht. Dank
großer Luftlkammer ist mit die-
ser Pumpe der Reifen mit einig: n
Stößen gefüllt.
meist außerhalb der Ebene des rechtsseitigen Kugellagers
angeordnet ist. Sodann ist vorteilhaft, daß sich die eigentliche
Uebersetzung in einem gegen Staub und Schmutz völlig geschütz-
ten Gehäuse und im Oelbad abspielt, während vom außen an-
geordneten Kettenrad des Getriebes bis zum Zahnkranz an der
Hinterradnabe lediglich eine Uebertragung der Antriebs-
kraft mittels Kette, also eine Weiterleitung der Kraft,
nicht aber eine Uebersetzung im üblichen Sinne stattfindet. Bei
dieser gewissermaßen unterteilten Uebersetzung resp. Fort-
leitung der Aniriebskraft ergibt sich eine Entlastung der
Vorgelegewelle, so daß die beiden Ringkugellager dieser Welle
derHauptsache nach nur die Geradführung der beiden Getriebe-
ketten zu sichern haben, ohne starke Druckkräfte auffangen zu
‚müssen. Man darf also die Verluste an Kraft durch zusätzliche
Reibung an diesen Stellen des Getriebes vernachlässigen, und
zwar um so eher, weil der große Gang von oben her
gesehen auf der rechten und der Berggang mit dem
geringeren Größenunterschied der Getriebezahnräder auf der
linken Seite angeordnet ist.
Eine gewisse zusätzliche Kugellager-Reibung entsteht aller-
dings dadurch, daß bei jeder Uebersetzung beide Getriebe-
ketten mitlaufen. Ist beispielsweise der Normalgang eingeschal-
tet, so eiltdas große Kettenrad des kleinen Ganges der Drehung
der Kurbelachse voraus. Und wenn der Berggang eingeschal-
tet wird, bleibt das große Kettenrad für den Normalgang hinter
der Drehung der Kurbelachse entsprechend zurück. Aber in
beiden Fällen findet dieses Voraus- und Hinterherlaufen der
großen Geiriebekettenräder in unbelastetem Zustande
statt, so daß — alles in allem beirachtet — nur die Rollreibung
einer der beiden Getriebsketten ins Gewicht fallen kann.
Um nun auch diese Reibung denkbar gering und gleichzeitig
den Lauf des Getriebes möglichst geschmeidig und frei von
Vibrationen zu gestalten, verwenden die Bismarck-Werke in
ihrem Getriebe hochwertige Präzisionsketten von 1000 kg
Streckfestigkeit mit */ı Zoll Teilung und °/,. Zoll Breite (innere
Gliederbreite). Diese Spezialteilung gewährleistet ein denk-
bar sanftes und gleichmäßiges Auf- und Ablaufen der
Ketten, deren Abnutzung und Streckung durch das beständige
Oelbad und den Schutz gegen Staub u. Nässe, den das Getriebe-
gehäuse bietet, weitgehend verhindertwird. Daß sämtliche hoch-
beanspruchten Einzelteile aus chrom-nickellegiertem Stahl in
bewährter „Bismarck-Qualität” hergestellt sind, braucht wohl
kaum besonders hervorgehoben zu werden. Nur so war esüber-
haupt möglich, dieses Getriebe in einem so kleinen und dabei
formschönen Gehäuse unterzubringen und sehr leicht zu halten.
Die Uebersetzungs-Möglichkeiten zeigt die folgende Tabelle:
Entwicklung
in Metern
Normalgang
75,5 Zoll | 6,2
5,75
ZU5 u
0a 5,4
Sn
635 u
Zähnezahl Ueberset-
des zung in Zoll
Zahnkranzes Normalgang
Uebersetzung
in Zoll
Berggang
55,2 Zoll
Entwicklung
in Metern
Berggang
4,4
4,15
3,9
3,65
Der Üebersetzungs-Unterschied des Getriebes ist zweifellos
sehr zweckmäßig gewählt. In der Regel dürfte auch eine Hilfs-
übersetzung zur leichteren Ueberwindung vonFahrwiderständen
(hefligerGegenwind, stärkere u. anhaltende Steigungen, Sand-,
Wald- und Feldwege, Beförderung von Gepäck und Nutzlasten,
Ziehen angekuppelter Zweiradanhängewagen) neben der Nor-
malübersetzung ausreichen. Aber auch im Großstadtver-
kehr mit seinem stoßweisen Fluß und starken Wechsel des
Tempos istdas Vorhandensein einerkleineren Uebersetzungeine
wahre Wohltat. Kraftwagen und Motorräder sind ohne minde-
stens zwei oder dreiGängen heute völlig undenkbar. Warum soll
das Fahrrad und der Mensch als Motor im Rückstand
bleiben?
Auf der ehemaligen Lichterfelder Straße (seit kurzem in Meth-
fesselstraße umgetauft), die mit stellenweise 12°J,iger Steigung
zum Berliner Kreuzberg emporführt, fuhr ich ohne besondere
Anstrengung mit dem 52zölligenBerggang an einer Gruppe von
Radfahrern vorbei, die ihr einfach übersetztes Rad schieben muß-
ten und mir und dem so schön ausgestatteten Wunderrade
staunendnachblickten. Auch dierecht erheblichen Steigungen bei
Schildhorn und dem König-Wilhelm-Turm an der Havel (Berliner
Grunewald) vermochte ich fast spielend, wenn auch bedeutend
verlangsamt, mit 52 Zoll zu überwinden, um dann mit 71,5 Zoll
auf ebener Straße oder bergab im Freilauf weiterzufahren.
Bemerkenswert ist die Tieflage des Getriebes und damit
des Tretkurbellagers, die reichlich breit gehaltene Lenkstange
und derweite Vorlauf der Vorderradgabel. Die Maschine gewinnt
dadurch eine hervorragend gute Straßenlage und einen
auffallend elastischen Lauf. Noch mancherlei
weitere Feinheifen in technischer und geschmacklicher Hinsicht
(kräftige Ausfallenden mit besonderen Ansätzen für die Schutz-
blechstreben, anständiges Werkzeug u. a. m.) wären, wenn es
der Raum zuließe, hervorzuheben.
Oberingenieur Otto Lüders, Berlin W 30, Sachverständigerdes
Deutschen Radfahrer-Verbandes, des Reichsinnungsverbandes
des Mechanikerhandwerks u. des Reichsverbandes des deutschen
Fahrradeinzelhandels — für Fahrradtechnik — und Verkehr —“
Bismarck Berg wie Tal Radmarktsonderdruck 1935
- From
- 1935
- Pages
- 2
- Type
- Rad Markt
- Country
- Germany
- Brand
- Bismarck
- Source
- Heinz Fingerhut
- Added at
- 16/04/2019
- Tags
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