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Das Radfahren.
Die militäriſche Brauchbarfeit des
und ſeine
| Verwendung in den Militärftanten.
4 Von
Freiherr vou Puttkamer,
Premierlieutenant im Infanterie-Regiment Nr. 140.
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Mit 12 Abbildungen im Text.
Berlin 1894,
Ernft Siegfried Mittler und Sohn
Königliche Hofbuchhandlung
Kochſtraße 68-70.
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Rades
Alle Rechte aus dem Geſeß vom 11. Juni 1870 find vorbehalten.
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Vorwort.
Die folgenden Zeilen ſind aus zwei Winterarbeiten ent-
ſtanden, deren freundliche Beurtheilung mir den Muth gab, fie
nah paſſender Erweiterung dem Dru>k zu übergeben.
Außer Stadelmanns „Das Zweirad u. j. w.“ ift meines
Wiſſens no< nichts auf dieſem Gebiet von einem Deutſchen in
weiterem Umfange veröffentliht worden. Es wird daher dieſe
Arbeit denen, die fich über das Weſen des Radfahrens und ſeine
militäriſche Verwendbarkeit orientixen wollen, ſowie auc< Anhängern
des Sports, die ihn zum Vergnügen, zu Privatzwe>en oder zum
Dienſt betreiben, einen Anhalt bieten können.
SH habe verſu<ht, mich von jeder Uebertreibung und über-
eifrigen Parteinahme für das Rad fernzuhalten.
Ob mir dies gelungen iſt, wird die nächſte Zeit lehren.
Der Verfaſſer.
Erſter Theil.
1. Allgemeines.
Im erſten Viertel dieſes Jahrhunderts fiel dem Karlsruher
Publikum ein älterer Herr auf: er ſaß auf einem zweirädrigen
Fahrzeug und bewegte ſich fort, indem er, gleichſam laufend, ſich
mit den Füßen auf dem Erdboden weiterſtieß. Es war Herr
v. Drais, nach deſſen Namen heute no<h die auf den Bahnſtre>en
gebrauchten Draiſinen genannt ſind.
Seine Erfindung, fih dux< eigene Kraft mittelſt eines
Fahrzeuges weiter zu bewegen, iſt erſt in ſpäteren Jahren ver-
beſſert; anfangs von den Franzoſen mit Lebhaftigkeit aufge-
nommen, dann aber von Engländern mit ruhigerem Zielbewußt-
ſein zu einem blühenden Sport entwickelt, hat ſie ſich jest über
das ganze kultivirte Europa verbreitet.
Mande Leibesübungen, wie Reiten, Rudern, Schneeſhuh-
laufen, baſiren auf praktiſcher Grundlage, andere haben ſich für
den praktiſchen Gebrau< nutzbringend entwickelt. So das Rad-
fahren! Anfangs lediglich Sport, der argwöhniſch beobachtet, be-
ſpöttelt und ſcharf angegriffen wurde, gewann es auh als will-
kommenes, billiges Fortbewegungsmittel langſam, aber ſicher ſeine
Anhänger in allen Kreiſen der Geſellſchaft.
So hat ſic das Rad au ſeinen Weg in die Armeen ge-
bahnt, und wenn auch noh nicht Radfahrer-Bataillone ausgerüſtet
Frhr, v. Puttkamer, Das Radfahren. 1
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ſind, von den Kompagnien oder wenigſtens größeren Abtheilungen
find wir fiher nicht mehr weit.
3 wäre allerdings zu verwundern, wenn ein Fahrzeug,
welches einzelnen Leuten ermögliht hat, über 736 km*) innerhalb
24 aufeinander folgender Stunden zurü>zulegen, im Kriege und
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im Frieden nicht mehr angewandt werden könnte, als es bisher
gejchehen iſt. Allerdings iſt dieſe ungeheure Kilometerzahl mit
einem abnorm leichten ‘Rade, ohne Gepä>k bei gutem Wetter auf
guter Bahn von einem vorzüglichen Fahrer zurückgelegt worden,
aber ſelbſt unter ungünſtigen Verhältniſſen ſind do< immerhin
no< Stre>en zu erreichen, die alle anderen Mittel, vorwärts zu
kommen, ausgenommen die Eiſenbahn, überholen.
Den hauptſächlichen Uebelſtand hat aber das Fahrrad, daß
es nicht unter allen Verhältniſſen daſſelbe zu leiſten im Stande
iſt, vielmehr iſt die mehr oder weniger günſtige Beſchaffenheit
mancher Umſtände auf die Leiſtungsfähigkeit von Einfluß.
Je richtiger aber dieſe taxixt werden — und das iſt nur
möglid, wenn man entweder ſelbſt Radfahrer iſt oder
theoretiſc<; jic< eindringlih mit dem Radfahren be-
ſ<äftigt hat -- und je richtiger damit auch das Rad ver-
wendet wird, um ſo mehr wird es zu leiſten im Stande ſein, und
derjenige, der über Radfahrer zu verfügen hat, wird fich darüber
klar zu werden haben, ob ex aus dieſen den gewünſchten Vortheil
ziehen kann, oder ob ex an ſeiner Stelle beſſer den Reiter ver-
wendet. Man braucht ein Werkzeug nur da, wo es anwendbar
iſt, eine Papierſcheere niht zum Holzſpalten und ein Beil nicht
zum Papierſchneiden, und doch erfüllen Beide an richtiger Stelle
ihren Zwe.
Es wirkt deprimivend, wenn auf den VBerjuh Stadelmanns
im Jahre 1892, das Rad als für den Militärdienſt brauchbar
*) Huret legte am 23./24. Juni 1894 auf dem Buffalo-Velodrom in
Paris 736,946 km in 24 Stunden zurück.
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zu empfehlen, ſeitens hervorragender militäriſher Blätter ein
ſcharfes Urtheil in entgegengeſetztem Sinne gefällt wurde, u. a.
mit dex Motivirxung, daß man überhaupt noh nit wiſſe, ob Hoch-,
Nieder- oder Dreirad zu verwenden ſei. Die Frage war jchon
lange entſchieden, und wer das 1892 no<h nicht wußte, muß das
Radfahren nur vom Hörenſagen — jedenfalls aber nicht aus
eigener Praxis — gekannt haben.
So wird dem Rade oft von Laienſeite der Vorwurf der
Zerbrechlichkeit und geringen Widerſtandsfähigkeit gemacht. Man
urtheilt da na< Erfahrungen, die man bei Anfängern oder bei
Rennfahrern hat machen ſehen. Der Anfänger ruinirt ſeine nagel-
neue Maſchine, und wenn ſie die vorzüglichſte und theuerſte der
Welt wäre, zu leiht. Zum Erlernen bedient ev ji am beſten
einer alten ausvangirten Maſchine — Verfaſſer hat ſeine erſten
Studien nod auf dem hölzernen „Boneſhaker“ (Knoc<henſc<hüttler)
gemaht —; wenn ev mit diefer auch einmal ungejhidt, mar
möchte ſagen unſahgemäß fällt — aud das Fallen will geübt
ſein —, ſo iſt niht viel verloren, eine neue Maſchine aber kann
leicht einen „Kna>s“ dabei bekommen, der ſie verdirbt.
Nun aber auf den Rennplat! Dort find erſtens ganz
andere Maſchinen im Gebrauch, im Gewicht bis herab zu 8 kg,
während eine dauerhafte Tourenmaſchine mindeſtens 15 kg unter
heutigen Konſtruktionsverhältniſſen wiegen muß. Dann iſt die
Art des Fahrens auf der Bahn in Nüdjiht zu ziehen; die
koloſſale Schnelligkeit macht ein Anfahren, einen Sturz ſehr leicht
— daß die aus papierdinnem Stahlblech gebauten Räder einem
ſolchen Anprall nicht widerſtehen können, iſt klar. Schon zwei
aneinanderfahrende Munitionswagen, ſicher doch feſte Fahrzeuge,
werden nicht ohne Schaden dabei fortkommen — wieviel weniger
niht ein paar Rennmaſchinen.
Auf der „Tour“ aber kommt ein Anfahren kaum vor; iſt
dies aber der Fall, ſo iſt ſicher die Unaufmerkſamkeit oder Un-
1*
Die Güte und
Art des Rades.
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geſchi>lichkeit eines oder beider betheiligten Fahrer daran Schuld.
Darum — erſte Bedingung der Militär - Radfahrerei: ſc<harfe
Schulung zur genauejten Einhaltung der Fahrordnung,
die nux dur< Uebung zuerſt in kleineren, dann in
größeren Verbänden zu erreichen iſt.
2. Beurtheilung der Anwendbarkeit und Yeiltungs-
fähigkeit des Rades.
Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß es Umſtände giebt, die auf die
Anwendbarkeit des Rades von Einfluß ſind und deſſen Leiſtungen
zur oben erwähnten Höhe zu bringen, aber au< gewaltig zu ve=
duziren im Stande ſind. (Es ſind dies folgende Punkte:
. Die Güte und Art des Rades,
Kleidung und Ausrüſtung,
. das Wetter,
der Weg,
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5. die Tüchtigkeit des Fahrers ſelbſt.
1. Daß das Rad von vorzüglicher Beſchaffenheit iſt, iſt die
Hauptbedingung für anhaltend gute Leiſtungen. Für militäriſchen
Gebrauch kann nur das Niederrad mit ſeinen Abarten in Frage
kommen, wel<hes vor dem Hochrad die Vortheile hat, daß es
ſicherer iſt, Hinderniſſe und ſchlehte Wege beſſer überwindet,
leichter und jchneller zu beſteigen iſt, während das Dreirad, von
der größeren Reibung ganz abgeſehen, no< höhere Anſprüche an
die Fahrſtraße ſtellt als das Hochrad.
Das Niederrad hat entweder Kettenantrieb oder ein über-
fettes Vorderrad (Frontdriver). Letzteres wird ſehr empfohlen,
doh iſt es wohl noch ſehr verbeſſerungsfähig, und wird ſein Antriebs-
Leichtes (Touren-) Niederrad.
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medhanismus vielleicht bei fombinivten Majchinen (TZandems u. a.)
zwedmäßige Verwendung finden. Das bekanntere Niederrad mit
Kettenantrieb iſt jedenfalls heute no< das bewährteſte. Es wird
au< als Tandem, ja ſogar als Triplet und Quadruplet (drei-
und vierſitziges Zweirad) gebaut.
Der pneumatiſche Reifen hat nah kurzer Konkurrenz des
Kiſſenreifens endgültig den Sieg über den maſſiven Reifen
Durchſchnitt des Kiſſen-
reifens.
behauptet. Welche der weit über
hundert verſchiedenen Arten am
beſten für militäriſche Zweke ge-
eignet iſt, das kann erſt die Praxis
lehren. Jedenfalls iſt bei den neueren
Modellen die frühere leichte Verlet-
barkeit ganz gehoben. Sowohl auf
der Stanley Show (Radausſtellung)
in London als auch in dem Salon
du Cycle in Paris zeigte man Maſchinen mit Reifen, die man mit
Meſſern ſtac< und über genagelte Bretter fuhr, ohne daß aus den
Pneumatiſcher Reifen.
a) Luftſchlauch ; þ) Mantel; e) Ventil für die Luftpumpe.
unter zwei Atmoſphären Druck befindlichen Schläuchen Luft entwich.
Das häufige Platzen der Reifen bei Rennen beruht auf der un-
7
gemeinen Leichtigkeit des nux für dieſen Zwe> hergeſtellten Fabri-
fats, das, um an Gewicht zu ſparen, an ſeiner Haltbarkeit Ein-
buße erleiden mußte. Treten dennoch au< an Tourenmaſchinen
Berlegungen des Neifens ein, jo ſind dieſe dux< mitgeführtes,
Kugellager (Querſchnitt). Kugellager (Längsſchnitt).
wenige Gramm wiegendes Material leiht zu repariren; natürlich
eignen ſich nur ſol<he Reifen für militäriſc<en Gebrauch, die au<
unaufgepumpt noch ein meilenweites Fahren geſtatten.
Bei richtiger, nur einigermaßen ſorgſamer Behandlung iſt
Reifen wie Maſchine im Stande, 7000 bis 8000 km ohne jede
eingreifende Reparatur zurückzulegen.
2. Der Radfahrer, der längere Zeit unterwegs zu bleiben
beabſichtigt, bezieht in der Regel ſeinen Nachſhub an Wäſche
Luftpumpe. (Ein Drittel der natürlichen Größe.)
dur die Poſt, um möglichſt leiht und mühelos zu fahren. Bei
militäriſchem Radfahren kann davon niht die Rede ſein; der
Feldſoldat muß möglichſt Alles, was ex braucht, bei ſi< haben.
Je weniger ex die Anweſenheit der Bagage braucht, je länger er
ohne Noth von ihr getrennt bleiben kann, um jo vortheilhafter
iſt dies für ſeine Leiſtungen, denn ſeine Bewegungen werden
Kleidung und
Ausrüſtung.
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nur allzu ſehr von ihr beeinflußt und damit gehemmt. Eine in
ſo kurzer Zeit ſo weite Diſtanzen zurüclegende Waffe — sit
venia verbo — wie der Radfahrer muß von ihr erſt vecht un-
abhängig ſein; jedenfalls je mehr ſie es iſt, um ſo leichter iſt
es, fie nah ihrer Marjchleiftungsfähigkeit auszunugen. Kleidung
und Ausrüſtung müſſen alſo derartig ſein, daß fie leiht genug
ſind, um vom Fahrer ſelbſt mitgeführt werden zu können, anderer-
ſeits ſeine Bedürfniſſe ſo weit deden, um ihn nicht Mangel oder
Schaden an ſeiner Geſundheit leiden zu laſſen.
Die Kleidung muß vor Allem den Zwe> verfolgen, den
Fahrer niht in der Bewegung zu hindern. Da ex mehr als
jeder andere Soldat dem Transpixriren ausgeſeßt iſt, muß ſie die
Ausdünſtung nicht hindern und do< vor Erkältung jchüten.
Zweierlei Kopfbede>ung erſcheint nöthig, etwa ein Käppi oder ein
ſog. Stürmer mit großem Schirm, ſowie ein leinenes oder, nod)
beſſer, ſeidenes Mübchen, das unſere Feldmübße vertreten würde.
Der Hals muß frei fein, die Bekleidung des Oberkörpers darf
die Athmung nicht hindern. Ein ſc<hoßloſer Kittel mit jtellbarem
Gurt (darunter oder darüber zu tragen) und vielen Taſchen
würde als Oberkleidung zu empfehlen ſein. Ein dunkelblaues
weites Flanellhemde, das auf der Fahrt eventuell auch ohne den
erſteren getragen werden kann, iſt die praktiſchſte Unterkleidung;
fie erſpart unter Mitführung einer zweiten Garnitur die Mit
nahme eines weiteren Anzuges oder Drillihzeuges. Am wichtigjten
iſt die Beſchaffenheit des Beinkleides. Am praktiſchſten wäre ja
ſiher das Koſtüm der Bergſchotten — dies dürfte aber keine
Ausiiht auf Einführung haben. Die Sportsleute bedienen ſich
der Kniehoſe, bei Rennen das Knie freilaſſend, bei Touren es
bededend. Das Tourenbeinkleid iſt in den Knieen weit (Pump-
hoſe); eine gewiſſe Spannung durc den Strumpf und den Strumpf-
halter iſt bei dieſer Kleidung nicht zu vermeiden. Weniger kleid-
ſam, dafür aber zwe>entſprehender und — niht außer Acht zu
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Rennanzug (Rennrad).
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laſſen — ſoldatiſcher iſt ein halblanges Beinkleid, das unterhalb
der Wade geſchnallt oder geſchnürt wird; es muß ſo weit ſein,
daß es dem Knie und dem Oberſchenkel volle Aktion läßt. Daran
ihließt ſich eine Gamaſche, die zugleich den die Knöchel freilaſſenden
Halbſchuh bede>t. Das Knöchelgelenk entlaſtet etwas das am
meiſten arbeitende Kniegelenk, und iſt ſeine möglichſt große Be-
wegungsfähigfeit zwedmäßig. Durch dieſe Tracht wird der immer
ſpannende Wadenſtrumpf vermieden und die Thätigkeit der Unter-
ſch<enfelmuskeln =- Waden — nit erihwert; aud) bietet ſie Schutz
gegen Schmut und ungünſtige Witterung. Hohe (Dragoner-)
Stiefel ſind durchaus niht wünſc<enswerth, da ſie neben
ihrer Schwere die freie Bewegung der Muskeln hemmen.
Als Unterzeug für die Beine empfiehlt ſi< Wollflanell am
meiſten, und zwar genau im Schnitt der Oberhoſen, ſo daß ſie
jene eventuell au< erſezen können. Anliegende Trikotunterbein-
kleider ſind zu verwerfen. Ob Mantel, Poncho oder eine auf-
geihnallte Dede, ob Zeltbahn oder nicht, das müſſen weitere Er-
probungen ergeben.
Auf den Anzug iſt neben der Maſchine der größte
Werth zu legen. Seine größere oder geringere Zwe>-
mäßigkeit wird für ſeine Beurtheilung und Wahl abſolut
ausſ<laggebend ſein müſſen, und unter allen Umſtänden
iſt eine Kleidung zu verwerfen, die die Tagesleiſtung
des Militär-Radfahrers aud nur um einen Kilometer
verringert, jeine Schnelligfeit aud nur um eine Sekunde
verkürzt. Dieſe Sefunde kann von Bedeutung ſein! Darum,
wenn einmal — dann nichts Halbes!
Als Bewaffnung iſt der Karabiner mit oder ohne Revolver,
Letzterer natürlich in möglichſt leichtem Modell, geeignet; dazu
fommen 60 bis 90 Patronen in leichteren Zeugtaſhen. Ein
Seitengewehr iſt nicht zu empfehlen, vielleicht aber ein kräftiges
„[<wediſhes“ Meſſer.
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Tourenanzug.
(3. Fiicher, Sieger in den Diltanzfahrten Wien— Berlin und Mailand— München.)
Das Wetter,
Der Weg.
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Als weitere Ausrüſtung iſt ein der Maſchine entſprechend
gebautes Felleiſen brauchbar, in welchem eine Garnitur Unterzeug,
ein weiteres Paar Halbſchuhe, das nöthigſte Pubzeug und eventuell
die eiſernen Portionen enthalten ſind. Feldflaſhe, Kartenhalter,
Kartentaſche, vielleiht ein Kompaß und ein Fernglas, Werkzeug-
taſhe mit entjpredendem Syuhalt, endlich die Laterne und ein
Signalinſtrument (Pfeife, Glo>e oder Huppe) vervollſtändigen
die Ausrüſtung.
3. Vom Wetter iſt der Radfahrer nicht ſo abhängig, wie
man im Allgemeinen glaubt. Regen iſt ihm ebenſo unangenehm
wie jedem anderen Soldaten, . dagegen bildet der Wind, ſpeziell
der Gegenwind, ein Hemmniß, das ſeine ſonſt zu erwartenden
Leiſtungen erheblich verringert. Fährt der Radfahrer dagegen mit
Wind, ſo iſt ſeine Schnelligkeit bis zur Bahnzugsgeſchwindigkeit
zu bringen. Den Beweis dafür hat im Mai d. Js. der Radfahrer
S. aus Rummelsburg geliefert, der zugleich mit dem Breslauer
Scnellzuge die Station Rummelsburg verließ und laut Be-
ſcheinigung des Stationsvorftehers in Friedrihshagen 10 Minuten
vor dem Zuge eintraf. Er hatte die 18 km lange Strede in
32 Minuten zurüd>gelegt. (,Voſſ. Ztg.“)
4. Die günſtigſte Fahrbahn iſt für den Radler eine gute
Chauſſee; ex wird ſie immer zu benußen ſuchen, au<h wenn ex
erheblihe Umwege machen muß. Das heutige Rad, welches
mit pneumatiſchen Reifen verſehen iſt, iſt jedo< im
Stande, auf jedem Wege zu fahren. Hierzu gehört aber
einige Uebung, die ſelbſt beſſere Tourenfahrer ih niht zu ge-
währen pflegen. Da die Wahl der Fahrten in ihrer Hand liegt,
jo wählen ſie natürlich jolhe, die die bequemſten Wege haben,
und mancher ausdauernde Tourenfahrer hat eine ungepflaſterte
Straße kaum benußt und kennt gar Sandwege nur vom Hören-
jagen. (Es wird ſich die Ausbildung eines Militär-Radfahrers
mithin niht nur auf große Kilometerleiſtungen zu erſtre>en haben,
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ſondern er wird aud im Befahren von Landwegen, ja ſelbſt von
ungebahntem Gelände zu üben ſein. Bald wird er ſi< mit Ge-
ſchiflichkeit jeden Streifen feſten Bodens auszuſuchen verſtehen.
Selbſt auf ſcheinbar grundloſen Wegen ſchneidet die breite Felge
des „pneumatiſchen“ Rades nur eine gewiſſe Tiefe ein, und es laſſen
ſich ſol<e Stre>en oft über Erwarten leicht dur<fahren. Am un-
angenehmſten iſt ihm neben grundloſem Sande lehmiger Unter-
grund bei Regen, beſonders bei Beginn deſſelben; die zähe Maſſe
ſetzt ſich da zwiſchen Gabel und Speichen, und das Fahren kann
dann ſelbſt auf Chauſſeen zur Strapaze werden. Zur Unmög-
lichkeit wird das Radfahren eigentlih nur bei tiefem Schnee auf
ungebahnten Wegen. Sand hindert nicht jo jehr; ſelbſt bei den
bösartigſten Sandwegen iſt faſt immer eine Grasnarbe*) ü. ſ. w.,
die fi) benußen läßt; iſt auch dies nicht der Fall, ſo wird man
längere Strecken eben ſchieben müſſen, während man kürzere durch
ſcharfes Treten überwinden kann.
Bergiges Terrain iſt kein Hinderniß für den Rad-
fahrer. Das beweiſt wohl klar und deutlich das 590km-Diſtanz-
Rennen Mailand—München 1894,**) auf der der 1400 m über
dem Meeresſpiegel liegende Brennerpaß ſpielend überwunden
worden iſt und, trozdem Münden etwa 400 m höher liegt als
der Abfahrtsort, dennod der Erſte die gewaltige Stre>e in
*) Verfaſſer hat in der Mitte des marjchirenden Bataillon auch auf
einem mehrere Kilometer langen Sandwege das Rad nicht zu verlaſſen
brauchen.
*X) Jm Uebrigen verliert dieſe Fahrt militäriſch inſofern erheblich an
Zerth, als Maſchinenwechſel geſtattet war; aus dieſem Grunde wurden faſt
dur<weg die für Armeezweke untauglichen Straßen-Rennmaſchinen benutt.
Ferner waren Schrittmacher erlaubt.
Sobald der pneumatiſche Reifen nur im mindeſten Luft gelaſſen,
verlor man nicht einmal die Zeit, ihn wieder aufzupumpen, ſondern wechſelte
einfach die Maſchine mit der des Schrittmachers.
Vollen militäriſchen Werth hat nur eine Diſtanzfahrt ohne
Schrittmacher und ohne Maſchinenwechſel,
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29 Stunden 32 Minuten zurücklegte. Feder Wagen und jeder
Fußgänger wird von ihm bergauf überholt; der Reiter wird,
will er ſein Pferd nicht ruiniren, eine mäßigere Gangart ein-
ſ<lagen müſſen. Jſt der Radfahrer im Bergfahren geübt und
die Steigung niht in einem allzu ſc<wierigen Verhältniß, ſo
braucht ex ſein Rad nicht zu verlaſſen und überholt ſo Fußgänger
und Fahrzeuge. Muß er aber abſteigen, ſo ſchiebt er ſein Rad
und hält ohne Mühe mit jenen daſſelbe Tempo; ja faſt könnte
man dies für den Radfahrer als eine Erholungspauſe betrachten,
denn die andere Bewegung bringt ſeine Muskeln zu einer ander-
artigen Thätigkeit. Endlich haben Fußgänger, Wagen, Reiter
und Radfahrer den Gipfel des Berges erreiht — es
beginnt der Abſtieg! Der Fußgänger hat es bergab entſchieden
leichter als bergan. Der Wagen bremſt ſcharf, denn kommt
der Wagen „in Schuß“ und können die Pferde das Tempo nicht
mehr halten, jo überfährt er ſie; und haben die Pferde das Ge-
wicht des Wagens bergauf ziehen müſſen, ſo müſſen ſie es bergab
aufhalten. Auch der Reiter wird nur ein mäßiges Tempo ein-
halten können und beſonders mit ermüdetem Pferde kaum anders
als Schritt reiten. Nun der Radfahrer: er ſtellt ſeine Füße
auf die „Fußruhen“ und läßt die Maſchine laufen; die Hand liegt,
den Daumen auf dem Drücker der Glocke, auf der Bremſe und
vegulivt die Geſchwindigkeit. Jſt der Weg gerade und überſichtlich
oder dem Fahrer bekannt, ſo wird ex dem Rade um ſo freieren
Lauf laſſen.
Bei dem hohen Rade war das Bremſen ungemein ſchwierig
und es koſtete eine gewiſſe Uebung, um bergab das Tempo des
Bicycles zu mäßigen, ohne den bekannten Kopfſprung zu machen.
An ein jharfes plöglihes Durchziehen der Bremje war nicht zu
denken; das Niederrad verträgt Letzteres jedod) ohne jeden Schaden,
auch iſt die Anbringung einer zweiten (event. Hinterrads-) Bremſe
leicht auszuführen. Die Beine ruhen während der ganzen Thal-
Die Tüchtigkeit
des Fahrers
ſelbſt.
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fahrt, und aud die Hand kann dur< eine Vorrichtung zur Feſt-
ſtellung der Bremſe faſt völlig entlaſtet werden. Jedenfalls iſt
Berg- und Thalfahrt =- ganz abgeſehen von der abwecſelungs-
reicheren Natur =- intereſſanter als das gleichmäßige Treten auf
ebenex Chauſſee. Bergab kommt Schneid und Geiſtesgegenwart
zur Geltung; je ſ{hneller — um ſo ſ<neidiger, man kann auch
ſagen — unvorſichtiger! Plöblich erbli>t der Radfahrer ein un-
vorhergeſehenes Hinderniß, etwa einen Wagen, eine Viehherde oder,
das Schlimmſte, eine herabgelaſſene Bahnbarriere. Scarf greift
die Hand auf die Bremſe, ſie ſcheint kaum zu funktioniren; doch
er iſt geſhi>t genug, die raſend ſc<hnell um ſich ſchlagenden Pedale
wieder zu faſſen und dur< kräftigen Gegendru> bringt ev die
„dur<gegangene“ Maſchine vor dem Hinderniß zum Stehen. Doch
zu ſolhen Nothlagen brau<t man es nicht kommen zu laſſen;
man kann immer no< den Kilometer in drei Minuten fahren,
ohne in Gefahr zu kommen, die Herrſchaft über ſein Rad zu ver-
lieren; iſt ſie aber verloren, ſo iſt ein entſchloſſenes Abſpringen
einem Zerſchellen mit dem Fahrzeuge vorzuziehen.
5. Der Fahrer muß geſunde Lungen und ein geſundes Herz,
ſowie gute Augen haben; ſein Gewicht muß zu ſeiner Körper-
länge in normalem Verhältniß ſtehen.
Jm Uebrigen iſt aber außergewöhnliche Kraft und Gewandtheit
niht nöthig. Auf einer -240 km langen Tour (Magdeburg —
Potsdam und zurü&), die an einem Tage zurückgelegt wurde,
wurde der Verfaſſer von einem guten Fahrer begleitet, welcher
wegen allgemeiner Körperihwäde für dienſtunbrauc<hbar befunden
war. Derſelbe fuhr über den Kamm von Wernigerode nad) EI-
bingerode, ohne abzufigen, eine etwa 5 bis 6 km lange ſtarke
Steigung, die dem Verfaſſer damals nur zur Hälfte zu über-
winden mögli<h war. Bei richtiger Anleitung iſt jeder militär-
dienſtfähige Mann, der nicht dur< Sc<hlappheit oder Körperſhwäche
unter dem Durchſchnitt ſteht, dahin zu bringen, ohne Gepäck bei
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leidlich gutem Weg und Wetter 200 his 300 km an einem Tage
zurückzulegen. Mit 10 Kilo Gepäd werden ihm 150 km nicht
ſchwer werden; bei ſtürmiſchem widrigem Wind oder ſchlechtem
Weg wird doch ſtets eine Tagesleiſtung von 60 bis 100 km zu
erreichen ſein; trifft Beides zuſammen, ſo werden 50 km das
Minimum ſein, was ein Radfahrer pro Tag zu leiſten im Stande
iſt. Dagegen erhöht ſich bei günſtigem Winde und gutem Weg
die Leiſtungsfähigkeit bis zu 300, ja 400 km pro Tag.
Wenn ſo beſondere Kräfte nicht nöthig ſind, wenn das Ge-
pä> ein beträchtliches Gewicht erreichen darf, und Wind, Wetter
und Weg keine abſoluten Hinderniſſe für immer no< bedeutende
Leiſtungen bilden können, ſo iſt damit doh no<h nicht geſagt, daß
Jeder, der im Stande iſt, im Sattel zu balanciren,*) nun auh
bereits die Fähigkeit hat, Hunderte von Kilometern zurückzulegen.
Es wird vielmehr der lernende Fahrer erſt eine wohlüberlegte
Uebungsperiode dur<zumachen haben, und erſt nac<dem er gut
1000 km zurüdgelegt hat, wird er fähig ſein, Touren, bezw.
Märſche von obenerwähnter Größe auszuführen. Eine etwa ſec<hs-
wöhige Uebungszeit würde wahrſcheinlich dazu genügen.
Pferd und Rad.
Aus den angeführten Leiſtungsmöglichkeiten iſt zu erſehen, daß
der Hauptnutzen des Rades in der Erreihung großer Marſc<-
ftreden mit großer Marſchgeſchwindigkeit liegt. Vergleichen wix
*) Verfaſſer hatte Gelegenheit, im Jahre 1885 den italieniſchen Kunſt-
fahrer Scuri auf einer Tour zu beobachten, die dieſem zu Ehren veranſtaltet
war. Letterer leiſtete auf der Bühne, obwohl jetzt längſt von Kaufmann,
Brunner, Schulz u. U. übertroffen, für damalige Verhältniſſe Wunder-
bares; auf der Stre>e Hannover —Steinkrug (Deiſter), kaum 20 km, konnte
er mit den Hannoverſchen Radfahrern nur mit Mühe Stich halten, während
auf der Rückfahrt zwei der Bicycliſten zu ſeiner Begleitung zurückbleiben
mußten.
Frhr. v. Puttkamer, Das Radfahren. 2
a) Leiſtungen.
a) Marſch und
Entwickelung
20
ſein, wird man dem Billigeven den Vorzug geben. Ein Pferd
koſtet den Anſchaffungspreis (Abnutzung), die Ausrüſtung, die Er-
haltung. Die Erhaltung eines Pferdes allein für ein Jahr koſtet
aber bei Weitem mehr als ein Nad beſter Konſtruktion mit allem
Zubehör; es koſtet eben nur den Anſchaffungspreis, der ſich mit
allem Zubehör bei Einzelbezug vom Händler auf 400 bis 500 Mark
ſtellt. Dieſer erhält etwa 40 pCt. Tantieme, ſo ſtellt ſich eine
Maſchine bei fremder Fabrikation auf etwa 300 Mark. Wo ſich
alſo — ohne Nachtheil — das Rad an Stelle des Pferdes ſetzen
läßt, iſt eine enorme Erſparniß möglich.
4. Geſchloſſene, größere Radfahrer-Abtheilungen.
Gelegentlih einer Pfingſttoux im Jahre 1885 traf der
Verfaſſer mit einem Kameraden vom Jnfanterie-Regiment Nr. 74
etwa 70 Fahrer, die ebenfalls am Pfingſtſonntagmorgen Hannover
verließen, zuſammen. Dieſelben fuhren am Vormittag (79? Uhr
Abfahrt, 139 Uhr abends Ankunft) über Goslar bis nad) Wer
nigerode. Die Touriſten fuhren zu Zweien nebeneinander; ſollte
einreihig gefahren werden, ſo. gab der Führer ein Signal, und
die links Fahrenden ſchoben ſi< in den 2 bis 3 Radlängen be-
meſſenen Abſtand ein. J< bemerke hierbei, daß damals faſt nur
die bei Weitem gefährliher zu handhabenden hohen Maſchinen
benutzt wurden. Es kamen damit auch wiederholt Stürze vor,
dabei wurde ſogar eine Hintergabel überfahren, was die Unbe-
weglichkeit des Hinterrades zur Folge hatte. Der Fahrer ſchob
ſein Bicycle auf dem intakten Vorderrad zur nächſten Dorſſchmiede,
und no< ehe Wernigerode erreiht war, hatte derſelbe das Gros
wieder eingeholt.
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21
Durch eine Radfahrerkolonne zu Zweien wird der übrige
Verkehr auf der Chauſſee nicht aufgehalten, „zu Einem“ würde
neben den marſchivenden Abtheilungen ſogar noch für den Adjutanten-
u. ſ. w. Verkehr ausreichender Platz bleiben, da ſich die Radfahrer,
die nur Mannesbreite einnehmen, auſ der äußerſten Kante des
Weges, bezw. dicht an der marſchirenden Truppe vorbei, durch-
zuwinden im Stande ſind. Mit großer Geſchwindigkeit können
jie bei dev marjchivenden Jnfanterie vorbei, ohne ſie durc< Staub
zu beläſtigen. Es iſt alſo leicht, hintere Abtheilungen na< vorn
zu bringen.
Die Hauptbedingung beim Fahren geſchloſſener Abtheilungen
iſt das Einhalten gewiſſer Abſtände; die Größe derſelben wird
von gewiſſen Umſtänden abhängig ſein. Dieſe ſind der Grad der
Sculung (Disziplin) der Fahrer, Beſchaffenheit des Weges, endlich
die größere oder geringere Schnelligkeit, die gefordert wird. Marſch-
Disziplin, Marihordnung find die erſten Bedingungen bei einer
Truppe, von der man große Marjchleiftungen fordert. Sie müſſen
beim Radfahrer in erhöhtem Maße verlangt werden; denn ein
Anfahren iſt unter jedex Bedingung zu vermeiden, da dies für
Fahrer und Mafchinen die übelſten Folgen haben kann. Je geübter
und disziplinirter die Fahrer ſind, deſto kleiner können die Ab-
ſtände werden. Je ſchlechter der Weg iſt, deſto ſchwieriger iſt es,
ein gleichmäßiges Tempo zu halten, deſto größer müſſen alſo die
Abſtände ſein. Endlich je größer die geforderte Schnelligkeit, deſto
größer die Abſtände.
Ein Rad hat etwa 1,90 m Länge. Bei mittelſharfem Tempo
(3 bis 31/2 Minuten per Kilometer) wird man 11/2 Radlängen
Zwiſchenraum in der Kolonne „zu Zweien“ laſſen müſſen. Zwei
Räder (nebeneinander) und dev Abſtand ſind alſo rund = 5 m
zu berechnen. Auf einen Kilometer werden alſo etwa 400 Mann
kommen — eine verhältnigmäßig geringe Zahl für die Größe
des Raumes. Beträchtlih vermindert aber wird dieſer Raum
b) Fahrende In
fanterie — abge
ſeſſene Kavallerie.
22
werden, wenn man Tandems und Triplets in die Kolonne einfügt.
Beſonders das Tandem (zweiſitziges Zweirad), welches etwa 2,50 m
lang iſt, ſcheint berufen, eine Rolle in militäriſcher Beziehung zu
ſpielen. Die Aufmerkſamkeit, die der Einzelfahrer, wie der Reiter,
auf den Weg, die Maſchine oder das Pferd verwendet, iſt hier
nur Sache des einen Fahrers, während der andere allein die
Beobachtung des Geländes u. ſ. w. übernimmt. Wird das Tandem
verfolgt, ſo kann der Letztere ſogar die Abwehr mit Revolver,
ja auch mit dem Karabiner übernehmen, ohne daß das Tempo
erheblich darunter leidet. Sollen die 400 Mann ins Gefecht
eingreifen, ſo macht die Tete Halt, ſitt ab, die Hinteren ſchließen
im Marſ<marſc< auf, ſitzen der Reihe nac< ab und formiren ſich
vor den Maſchinen.
Sie haben hier Nachtheile, aber auch Vortheile gegenüber zu
Fuß fechtender Kavallerie. Ein Nahtheil, und zwar, wie bet aller
Begeiſterung für das Rad nicht geleugnet werden kann, ein recht
erheblicher, liegt darin, daß die Räder nicht wie die Handpferde
den Kämpfern nachgeführt werden können. Jſt der Radfahrer
aber auch na<h Verluſt ſeines Rades kein Radler mehr, jo bleibt er
doh immer ein leiſtungsfähiger Jnfanteriſt. Ein zweiter Einwand
iſt der, daß die Maſchinen die Wege verſperren würden. Man
darf ſie eben nicht auf den Wegen ſtehen laſſen, ſondern kann ſie
neben denſelben auf dem Acker u. ſ. w. aufſtellen*) odev nieder-
*) Es giebt auch, beſonders an ſogenannten Militärfahrrädern,
Stützen, die während der Fahrt in einer Gabel ruhen oder aud auf andere
Weiſe befeſtigt ſind; auf dieſe gelehnt kann das Rad aufrecht hingeſtellt
werden; Verfaſſer hält dieſe Vorrichtung für ziemlih unnöthig. Ein ein-
zelner Fahrer wird ſich ſelten auf kurze, nie auf lange Zeit von ſeinem
Rade trennen; geſchieht Erſteres, ſo findet er wohl einen Baum u. ſ. w.
zur Anlage, andernfalls legt er ſein Rad auf den Boden. Mehrere Fahrer
ſezen ihre Maſchinen zuſammen, wie man Gewehre zuſammenſetzt. Ja,
wenn es eine Vorrichtung gäbe, die ein Stillſtehen auf der
Fahrt, während man im Sattel bleibt, ermöglicht, wie es beim
Dreirad der Fall iſt -- übrigens der einzige Vortheil deſſelben --,
dieſe würde von außerordentlichem Nuten ſein!
23
legen, wo ſie jedenfalls weniger Pla wegnehmen als die Hand-
pferde zu Fuß fechtender Kavallerie. Bor allen Dingen aber
braucht man nicht um die gede>te Stellung der Räder beſorgt
zu ſein, denn einerſeits ſind ſie, auf den Boden gelegt, erſt auf
die nächſten Entfernungen zu ſehen, andererſeits wird ihnen ſo-
wieſo das feindliche Feuer kaum großen Schaden zufügen. Noch
weitere Vorzüge hat die Verwendung des Radfahrers im Gefecht;
vermöge ſeiner Kleidung, Ausrüſtung und Ausbildung iſt er viel
beweglicher als der abgeſeſſene Kavalleriſt; kein Mann wird
abſorbirt, während bei der Kavallerie jeder vierte Mann als
Führer der Handpferde fortfällt.
Dieſe Eigenſchaften werden Radfahrerabtheilungen beſonders
zur Beigabe für Kavallevie-Diviſionen geeignet erſcheinen laſſen;
ſie werden den vielbeſprohenen „reitenden Infanteriſten“ erſetzen.
Hervorragenden Nuten werden ſie bei der Verfolgung bringen.
Sie werden ſelbſt, wenn die Kavallerie ermüdet iſt, in kleineren
Patrouillen oder au< in Trupps die Fühlung mit dem Feinde
aufrecht erhalten. Freilich hätte ein Zurü>weichen vor friſcher
Kavallerie ſeine Bedenken, beſonders in größeren Abtheilungen,
dagegen dürften einzelne Radfahrer (Patrouillen) bei einigem
Vorſprung von einem ausgerüſteten Kavalleriſten ſchwer eingeholt
werden. Aber ſollen nicht auc< wenige Jnfanteriſten =- und als
ſolhe müſſen Radfahrer betrachtet werden — eine große Ueber-
zahl von Reitern dur< ihr Feuer abzuhalten im Stande ſein?
Andererſeits würde es aber großen und kleinen Kavallerie-
abtheilungen unmöglich ſein, die Radfahrer von ſich abzuſchütteln ;
ſie können ja faſt das Dreifache des Weges in derſelben Zeit
zurücklegen wie jene!
Daß die Fühlung zwiſchen zwei Armeen, ſei es, daß ſie
miteinander oder gegeneinander fechten, verloren geht, iſt bei Ver-
wendung von Radfahrern faſt ausgeſchloſſen. Mehr als an irgend
e) Verfolgung
und Rüdzug.
a) Als Relais.
24
einer anderen Stelle erſetzen ſie hier die Kavallerie, die ruhen
kann, bis die Radfahrer mit genaueren Nachrichten zurück ſind.
Aus ähnlichen Gründen wird die Brauchbarkeit von Rad-
fahrern bei einem Nitdzugsgefeht hervortreten. Sie werden mit
ihrem Feuer, ebenſo wie der Jufanteriſt, eine günſtige Stellung
nehmen und halten können; ſoll abgebaut werden, ſo läßt ſie ihr
Rad ſchnell den zurückmarſchirenden Truppen folgen, um ſpäter
vielleicht wieder zu einem ebenſo energiſchen wie {nellen Vorſtoß
benutzt werden zu können. Sie werden beim Rückzug die Jn-
fanterie und bei entſprechender Ausrüſtung mit Sprengmatevial u.ſ.w.
aud oft den Pionier erſetzen können.
5. Verwendung in kleineren Abtheilungen.
Nr. 35 bis 38a der Felddienſt-Ordnung ſpricht über Relais:
Je ein Relaispoſten für „längere Dauer“ abſorbirt 1 Unter-
offizier und 6 bis 10 Mann; bei Relaispoſten von „einigen“
Reitern („für kürzere Zeit und vorübergehende Zwecke“) ſind
10 km Abſtand angegeben, die ſich bei Vermehrung dex Mann-
ſchaften „erheblich“ erweitern. Nehmen wir an: 20 km! Rad-
fahrer würden — ſoweit es auf deren Leiſtungsfähigkeit ankommt
— einen viel größeren Abſtand (40 bis 50 km und mehx) haben
können, eine nicht unerheblihe Erſparniß von Mannſchaften!
Die Felddienſt-Ordnung jagt ferner: „Etwa ein Drittel
(mindeſtens zwei Mann) muß ſtets zum Reiten bereit ſein, während
ein zweites Drittel abzäumen und füttern, ein Drittel, je nad)
der Sicherheit, abſatteln kann.“ — Beim Radfahrer fällt dies
überhaupt fort: er iſt jeder Zeit bereit, zu fahren. Aus
dem Schlafe geweckt, tritt er ſofort ſeine Fahrt an; des Nachts
durcheilt er unbemerkt unſichere Ortſchaften, während der Reiter
7x
25
dur< den Yufihlag auffällt. Fn großem Bogen mit verhältnif-
mäßig geringem Zeitverluſt iſt es ihm leichter, jene auch bei Tage
ungeſehen zu umgehen, als dem Kavalleriſten. An Schnelligkeit
iſt ex dem Reiter gewachſen, an Sicherheit und Ausdauer aber
überlegen.
Der Radfahrer wird häufig Erſatz für den Meldereiter leiſten ») 21s ,
N können. Nicht daß er ihn immer erjesen könnte. Sit er zwar no
nicht an die gebahnten Straßen gebunden, ſo läßt ſich do<h immerhin
hier ſeine Schnelligkeit am meijten ausnußen und er fann es nur
¿ hier dem Kavalleriſten gleich thun bezw. ihn übertreffen!
Unſere Märſche ſind an die Straßen gebunden; unter
dieſen ſind die breiteſten und feſteſten (Chauſſeen) die wichtigſten.
Wo marſchirt wird, muß Aufklärung vorangehen. Auch die auf-
klärende Kavallerie wird ſich mithin an ſie zu halten
haben. Soweit die Hauptmarſc<hſtraßen in Betra<t kommen,
wird der Radfahrer die Aufklärung zu unterſtüten im Stande
ſein. Die eigentlihe „offenſive“ Aufklärung wird ſtets Sache
des Kavalleriſten fein, Doch wird aud dort der Radfahrer ihn
manchmal wenn aud nicht erjegen, jo do< ſein Fehlen weniger
bemerkbar machen können. Symmer wird er jedoch als Meldefahrer
zwiſchen der vorgeſchi>ten Kavallerie und der marſchirenden Truppe
| Verwendung finden können.
Eine größere Thätigkeit wird er bei der Marſchſiherung ent
} falten.
Das Meldeweſen wird an Lebhaftigkeit gewinnen. Während
bei dex Anwendung von Meldereitern ſtets ein Reiter abſorbirt
wird, deſſen zwei- bis dreimalige Anwendung in ſtärkerer Gangart
die Kräfte des Pferdes erſchöpft, auf deſſen Schonung, da es ſonſt
ganz verſagt, man immer bedacht ſein muß, ſo ſind die verhältniß
mäßig geringen Diſtanzen von demſelben Radfahrer immer wieder
zurüdzulegen und zwar in einem Tempo von zwei bis vier Mi-
nuten auf den Kilometer. Der Radfahrer, an der Spitze verwendet,
€) Im Vorpoſten
dienſt.
dq) Als Partei-
gänger.
26
wird die Meldungen der Patrouillen im Gelände übernehmen und
ſie weiter zurückbefördern können. Hat er das zu Meldende nicht
ſelbſt geſehen, ſo kann immer noh bei entſprechender Wichtigkeit
der Kavalleriſt ſtatt ſeiner die Meldung überbringen. Jſt dies
aber der Fall oder ſoll ſc<hriftlihe Meldung gebracht werden, ſo
iſt ex gleihwerthig mit dem Reiter und kann ihn erſeten.
Beim Vorpoſtendienſt kann der Radfahrer faſt überall in
Thätigkeit treten. Die Anmarſchwege ſind der Hauptgegenſtand
unſerer Beobachtung; an den Straßen liegen unſere (Durc<laß-)
Poſten, Feldwachen und Vorpoſten-Kompagnien in der Mehrzahl
der Fälle. Je beſſer die Straße, deſto wichtiger wird ſie
ſein, deſto ſtärker ihre Sicherung und deſto größer die
Möglichkeit, den Radfahrer zu verwenden.
Auch als Poſten und Patrouillen können die Radfahrer in
Thätigkeit treten, beſonders bei Nacht.
Lautloſes Nahen, die Möglichkeit, ſi< mitſammt ſeiner
Maſchine im erſten beſten Chauffeegraben zu verſte>en, ja durch
einfa<es Hinlegen auf den Boden ſich der Sicht zu entziehen, be-
fähigen ihn ganz beſonders zu nächtlichen Unternehmungen. Fſt
er gezwungen, die Straße zu verlaſſen, ſo ſchiebt er ſein Rad vor
ſich her und iſt dann mit dem Jnfanteriſten bezüglich ſeiner Fort-
bewegung auf gleiher Stufe; evreiht ex aber wieder gebahnten
Weg oder auh nur feſtes Terrain, ſo iſt ex ihm überlegen.
Vor allen Dingen aber iſt die regelmäßige Verbindung der
Vorpoſten-Kompagnien, Feldwachen u. j. w. untereinander und mit-
einander dur< Radfahrer vortheilhafter zu bewerkſtelligen als
dur< Reiter, deren Kräfte auf dieſe Weiſe geſhont werden und
ihre Verwendung an anderer Stelle möglih machen.
Daß ſich Radfahrer für den kleinen Krieg eignen werden,
darauf iſt {hon von berufenerer Seite hingewieſen worden. Be-
ſonders im eigenen Lande werden kleine plötzlich auftretende Ab-
theilungen den Rücken des Feindes und ſeine Flanken gefährden,
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I
42
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=
5
e
rn EEE II
€) Bei der
Bagage.
Jm Feſtungs-
kriege.
28
ſeine Etappen beunruhigen, ſeine Verproviantivung hindern, kurz
überall ſeine rückwärtigen Verbindungen ſtören. Ebenſo ſ<nell
wie Reiter erſcheinen ſie, ebenſo ſchnell verſc<winden ſie auch wieder.
Aber unmerkliher wird ihre Annäherung ſein — zumal bei
Nacht —, leichter werden ſie ſich auch wieder zu verbergen wiſſen.
Vorzüglich ſind Radfahrer Patrouillen oder -Abtheilungen zu
Zerſtörungen ſowie zur Beaufſichtigung von Bahnjtreden und
Telegraphenlinien zu gebrauchen. Erſtere bilden meiſt beſonders
gute Fahrbahnen für ſie und befähigen ſie, außerordentliche Ge-
ſchwindigkeit zu erreichen. Auch hier ſind ſie bei nächtlichen Unter-
nehmungen beſonders im Vortheil.
Der Radfahrer iſt ferner befähigt, beſonders exponirte Beob-
a<tungspoſten einzunehmen, ſowie weit vorgeſchobene oder zur
Seite liegende Punkte zu beſetzen. Bis an 100 km wird man
Radfahrer-Atheilungen, 3. B. zur Sprengung wichtiger Brüden
oder Tunnel im eigenen wie in Feindesland, herausfenden können,
oder um jene zu beſeßen, bis andere Truppen nachkommen. Jm
exſten Stadium der Mobilmachung dürfte eine Verwendung zu
derartigen Zwecken großen Erfolg haben.
Weitere Verwendung werden Radfahrer zur Begleitung und
Bede>ung der Bagage und der Munitionskolonnen finden können.
So werden ſie die verloren gegangene Verbindung der Leßteren
mit ihren Truppentheilen vermöge ihrer Sc<nelligkeit und Aus-
dauer wieder aufſuchen können. Sie nehmen im Schritt weniger
Raum ein als der Kavalleriſt und bieten ein weit fleineves Ziel
als dieſer; zu gleicher Zeit iſt der Radfahrer durch ſeine Feuer-
thätigkeit im Stande, den Jnfanteriſten zu exſeßen.
Bei dem Feſtungskriege wird er bei der Vertheidigung Her-
vorragendes zu leiſten im Stande ſein.
Faſt den ganzen Meldedienſt wird ex dex Kavallerie abnehmen
können. Die Verbindung der Forts miteinander und der Kern-
umwallung, ſoweit Telephon und Telegraph nicht ausreichen, kann
29
ex übernehmen. Leichter als dem Kavalleriften ijt es ihm möglich,
auf ſhon im feindlichen Feuer befindlichen Straßen zu verkehren,
da er die Aufmerkſamkeit des Feindes weniger erregt als jener.
Der Verluſt eines Pferdes in einer belagerten Feſtung iſt nicht
zu erſetzen, die Ernährung iſt, je länger die Belagerung währt,
um jo ſc<wieriger. Dagegen iſt der Verluſt einer Maſchine nicht
zu befürchten.
Auch bei der Belagerung kann die Kavallerie erheblich ent-
laſtet werden. Hier iſt Telephon und Telegraph nicht in dem
Maße im Gebrauch wie bei der cernirten Feſtung; um ſo mehr
Nutzen iſt aus dem Rade zu ziehen.
Noch möchte ich auf die Verwendbarkeit dex Radfahrer beim
Transport von Brieftauben hinweiſen, ſei es für Friedensverſuche,
Flugübungen u. A., als auch für den Ernſtfall. Mit dem Hörter-
ſchen Tuchumhang oder auch mit Hülfe anderer Transportmethoden
kann der Radfahrer zwei bis ſec<s Brieftauben bei ſich führen.
Die Tauben werden bei der ſanften Fortbewegung des Rades ex-
heblich weniger zu leiden haben als unter den ſtoßenden jchnelleren
Gangarten des Pferdes. Ferner können die Flugübungen weiter
ausgedehnt werden, ohne die Hülfe der Bahn in Anſpruch zu
nehmen und ohne die Kavalleriſten ihrem übrigen Dienſte zu ent-
ziehen. — Radfahrer-Patrouillen, mit Brieftauben ausgerüſtet,
werden bei der Mobilmachung beſonders in Grenzgarniſonen, wo
keine Kavallerie ſteht, vorzügliche Dienſte leiſten.
Noch auf einige weitere erhebliche Vorzüge des Radfahrers
möchte i< aufmerkſam machen. Außer der Anſchaffung der Ma-
ſchine macht er nicht mehr Koſten als der Jufanteriſt, trotzdem
erſet ev häufig den Kavalleriſten. Bei Einquartierungen, ſei es
im Manöver oder im Felde, kann er weit entfernt vom Gefechts-
felde liegen; ein großer Anmarſch macht ihm bei guten Wegen
keine Schwierigkeiten.
g) Zum Trans
port von Brief-
tauben.
30
Als Fourier wird er, beſonders der Jnfanterie zugetheilt,
dem Truppentheil mit Leichtigkeit weit voraneilen können (Noth-
quartiere) und Zeit zum Quartiermachen gewinnen.
Jeden Augenbli> iſt er bereit, zu fahren, während
der Kavalleriſt erſt füttern, ſatteln und ſein Pferd aus
dem Stall ziehen muß. Der Kavalleriſt muß zuerſt an
ſein Pferd denken, ſobald er ins Quartier kommt, ehe
er ſich ſelbſt erfriſchen darf; dex Radfahrer kann ſich
ruhig der Erholung und dem Sclaf hingeben; ſein
Stahlroß braucht nux wenig Pflege und keine Fütterung.
Aus tiefſtem Schlaf gewe>t, kann er ſofort ſein immer fertiges
Rad beſteigen, ſei es, um Befehle und Meldungen zu befördern,
oder in größeren Abtheilungen an weit entfernte Punkte Hülfe zu
bringen.
Endlich darf der Einfluß, den das Radfahren auf
Körper und Geiſt auSübt, nicht unerwähnt bleiben. Die
Lungen erweitern ſich, das unnvöthige Fett ſchwindet,
die Muskulatur nicht nur der Beine, ſondern des ganzen
Körpers wird fejter und kräftiger. *) No< höher aber
iſt dex Einfluß zu ſ<äßen, den das Radfahren auf den
Charakter ausübt.
Das ihm Eigenthümliche, durch eigene Kraft, ohne Pferd
und Dampfwagen, mit der Karte in der Haud Entfernungen
von immenſer Größe überwinden zu können, macht ſelbſtbewußt,
entſchloſſen, thatfräftig und ehrgeizig. Das Radfahren iſt im
Stande, das dem Jufanteriſten zu werden, was dem Kavalleriſten
das Reiten iſt, ein Körper und Geiſt ſtärkendes Vergnügen.
*) An dem verſtorbenen Geheimen Medizinalrath Dr. Nußbaum
hat das Nadfahrerthum einen Gelehrten verloren, der in jeder Beziehung
für den Sport eintrat,
Zweiter Theil.
Das Rad im den Armeen.
Bis jetzt iſt das Rad nur ein einziges Mal auf dem Kriegs-
ſchauplaße zur Anwendung gekommen, und zwar war dies in der
Zeit, wo man faum die hölzernen Maſchinen von 50 bis 60 Pfund
Gewicht überwunden hatte, im deutſh-franzöſiſhen Kriege in dem
belagerten Belfort. Hier verſuchten es zum erſten Mal Radfahrer
mit Erfolg auf franzöſiſcher Seite, die fehlenden Pferde zu er-
ſetzen. Jhre Thätigkeit beſchränkte ſi<h auf Ueberbringung von
Befehlen und Aehnliches.
In den nächſten europäiſchen Kriegen hört man von dem
Velociped nichts mehr. Es war eben bei jener Gelegenheit ein
Nothbehelf geweſen; in den Balkan-Feldzügen war man auf einen
ſolchen niht angewieſen, au< gab es damals in jenen Staaten
noh keine dazu verwendbaren Maſchinen.
Es war das Hochrad dominirend neben dem Dreirad: beide
Fahrzeuge waren kriegsuntauglich; ſie hatten vorzügliche, Letzteres
ſogar entſprechend breite Fahrſtraßen (Chauſſeen) als erſtes Er-
forderniß. Ferner wax der Hochradfahrer dem Stürzen leicht
ausgeſebt, und ſhon deshalb die Bewaffnung mit einem Gewehr
ausgejchlojfen. Erjt mit dev Erfindung des Niederrades war die
Möglichkeit einer weiteren Verwendung gegeben, und auh dieſes
hat exſt viele Phaſen dux<hmachen müſſen, ehe das heutige Luft
Frankreich.
9:
32
reifenrad mit Kettenbetrieb aus ihnen hervorging. Erſt dieſes
machte die Benutzung jedes Weges möglich, war querfeldein, durch
Wald und über Felſen transportfähig und erlaubte aud) durd)
das immer mehr verminderte Gewicht ſowie die möglichſt ver-
ringerte Reibung die Mitführung von Gepäd und dur ſeine
Sicherheit die Ausrüſtung mit einer ſubtilen Schußwaffe.
Eine Armee nad) der anderen hat ſich wenigſtens mit Ver-
ſuchen bezw. der Verwendung des Fahrrades beſchäftigt.
Seit dem großen Kriege haben einzelne Truppentheile, zum
Theil auf Koſten ſich dafiir intereſſirender Befehlshaber, Verſuche
mit dem Rade gemacht. Zwar faßte ſchon im Jahre 1874 der
damalige Oberſt Denis gelegentlich der italieniſhen Manöver
den Gedanken einer ſyſtematiſchen militäriſchen Ausnußung des
Hochrades, aber erſt 1881 hat das 18. Korps Radfahrer in
kleinerem Umfange verwendet. 1887 wird ſeine Verwendung
offiziell geſtattet, während erſt 1889 durch minijterielles Nund-
ſchreiben eine wirkliche Organiſation ſtattfindet. Dieſe war ähn-
lic wie der Verſuch des Jahres 1893 in unſever Armee: 4 Rad-
fahrer, die aus der Reſerve oder der Territorialarmee genommen
wurden, ſtanden jedem Jufanterie-Regiment bezw. Bataillon zur
Verfügung. Den Korpskommandeuren war ihre Anwendung nach
eigenem Gutdünken überlaſſen. Es war dies naturgemäß, denn
wirkliche Erfahrungen hatte man auf dem Gebiete noh niht, vor
einem zu frühen koſtſpieligen Verſu<h in größerem Maßſtabe
mochte ſich jedes der ſowieſo {hon kurzlebigen franzöſiſchen
Miniſterien ſcheuen. Zugleich war der Umſtand, daß es Hunderte
von verſchiedenen Modellen gab, dafür entſcheidend, Angehörige
von Radfahrklubs, die zugleih zux Reſerve oder Territorial-
armee gehörten, mit ihren eigenen Maſchinen zu Verſuchen in der
Armee einzuziehen. Sie mußten außer der allgemeinen mili-
täriſhen Bildung etwas Fertigkeit im Krokiren ſowie die Fähigkeit
haben, Meldungen und Befehle zu überbringen. Jhre Anwendung
Ww
ſollte in erſter Linie auf den gewöhnlichen Ordonnanzdienſt hinaus-
laufen, jedoch waren ſie auch bereits zur Erkundung von Wegen
und ähnlichen patvonilfenartigen Aufträgen in Ausfiht genommen.
Es muß hier der Standpunkt der damaligen Fahrradinduſtrie
hervorgehoben werden, der für dieſe eingeſchränkte Verwendung
maßgebend war. 1889 hatte das niedere Zweirad (safety,
bicyclette) dem eleganteren hohen Bicycle bereits den Rang ab-
gelaufen, obgleich es erſt „in den Kinderſhuhen“ war. Es beſaß
ſhon an allen wagere<hten Achſen Kugellager, die auch auf dem
Hochrad Anwendung gefunden hatten, und wenn auch no< heute
Verbeſſerungen gemacht werden, 1o iſt etwas Weſentliches in den
lezten Jahren nicht hinzugekommen. Do< war das damalige
Rad no< der „Kreuz-Rover“,/*) wog faſt 25 kg, hatte feine
Sodelfugelftenerung und vor Allem — man wax no< auf den
harten {malen Gummireifen angewieſen.
Trotz des Gewichts, der ſchwereren Steuerung, des tiefen Ein-
ſchneidens der ſc<malen Felgen in weicheren Boden ſcheinen ſich
die Fahrer, die ſich aus den außerordentlich ſchnell in Frankreich
aufblühenden Sportklubs rekrutirten, doch bewährt zu haben, denn
man blieb nicht bei der bisherigen Organiſation, ſondern iſt all-
mählich weiter gegangen. 1890 wurden Beſtimmungen erlaſſen
(’Avenir militaire 7. XI), daß Radfahrer im Beſitz eines
„Bicyclettes“ ihre 13- bezw. 24tägige Uebung als Radfahrer bei
ven Stäben der Militär-Gouvernements von Paris machen dürften.
Eine Prüfung ihrer Fähigkeit war auf der Militär-Turnanſtalt
von Joinville zu beſtehen.
Bei dem 18. Korps fand in dieſem Jahre ein intereſſanter Ver-
gleich zwiſchen den Leiſtungen von ſechs Radfahrern und einem elf
Mann ſtarken Kavallerie-Meldepoſten ſtatt. Die Radfahrer erſetzten
nicht nur die Kavallerie vollkommen, ſondern ſie legten ſogar ins-
geſammt 600 km in derſelben Zeit zurück, in der die Reiter 385 km
D. V
*) Der heutige Humber-Rahmen war zwar ſhon 1888 erfunden. D.
4‘
Frhr. v. Puttkamer, Das Radfahren. 3
34
zurücgelegt hatten. Man hatte dabei noch außerdem fünf Mann und
11 Pferde geſpart.
Jm Herbſt 1891 trat unter dem Vorſit des Generals
de Boisdeffre, damaligen Unter<efs im Generalſtabe, eine Kom-
miſſion zuſammen, deren Aufgabe war, die Verwendung und
Organiſation der Radfahrer feſtzuſtellen. Das Reſultat dieſer
Konferenzen war das Rundſchreiben und der Erlaß vom 2. April 1892,
deſſen Jnhalt kurz gefaßt etwa folgender iſt:
Das Rundſchreiben ſpricht ſi< vorſichtig über die Vortheile
und Nachtheile des Rades aus. Es erkennt die Marſchleiſtungs-
fähigkeit und Schnelligkeit bei feſten Straßen an, die in keinem
Verhältniß zu der irgend einer Truppe ſteht, ferner die Geräuſch-
loſigkeit ſeiner Verwendung; Dunkelheit {ränke ſeine Schnelligkeit
nux wenig ein. Als Nachtheil hebt das Schreiben hervox, daß
das Rad faſt nur an gute Straßen gebunden ſei, die feſt und
nur wenig uneben wären.*)
Hieraus folgert die Kommiſſion die Verwendbarkeit der Rad-
fahrer in erſter Linie zur Uebermittelung von Befehlen, Berichten
und Meldungen aller Art. Jhre Verwendung zur Aufklärung
und zum Kampf ſeien no< im Verſuchsſtadium.
Der erſte Theil des Erlaſſes enthält eine allgemeine Jn
ſtruktion, die theilweiſe bereits im Rundſchreiben enthalten iſt.
Im Kriege und Manöver ſtellt Reſerve und Territorialarmee die
Mannſchaften, die ihre eigenen Räder mitbringen. Jm Frieden
liefert der Staat die Räder. Dieſe ſollen dazu dienen, den
Ordonnanzdienſt zu erleichtern, ferner die {on vor ihrer Dienſt-
zeit mit dem Sport vertrauten Mannſchaften in Uebung zu er-
halten, ſowie „bei den Offizieren den Gejhmad für das
Rad“ zu verbreiten.
*) Hierzu iſt zu bemerken, daß ſich dieſer Nachtheil dur< die Erfin-
dung und Einführung des Preßluftreifens erheblich zu Gunſten des Rades
verſchoben hat.
m.
35
Jm Felde ſollen die Radfahrer als Eilboten, event. auch als
Aufklärer und Kämpfer dienen. Die Mängel einer ſolchen Auf-
klärung unter ſpezieller Berückſichtigung des momentanen Standes
des Radfahrens werden hervorgehoben, doh wird bereits ihre
Brauchbarkeit beſonders im kleinen Kriege in Erwägung
gezogen. Auf eine Verwendung im Feſtungskriege wird beſonders
hingewieſen.
Theil 2 enthält detaillirte Beſtimmungen über die Organi-
ſation.
Radfahrer der Friedensarmee als ſolche giebt es nicht.
Der Zwe> der gelieferten Räder -—— per Jnfanterie-, Artillerie-,
Genie-Regiment bezw. Bataillon 2 Räder, per Kavallerie - Regi-
ment 1 Rad — iſt oben bereits erwähnt.
Die Radfahrer aus der Reſerve und Territorialarmee haben
ſi< einer Prüfung zu unterwerfen, die vor dem 15. Juni vorzu-
nehmen iſt. Dieſe beſteht in einer entſprechenden ärztlichen Unter-
ſuchung, einer theoretiſchen Prüfung (Kartenleſen, Dienſtkenntniß)
ſowie einer praktiſchen Prüfung: 90 km ſind in ſe<s Stunden *)
von den Radfahrern, zurückzulegen, die zu Stäben bezw. zu der
Kavallerie kommandirt werden ſollen, 48 km in vier Stunden
von den übrigen.
Die Bekleidung der Radfahrer iſt folgende: Mantel, Alpen-
jäger-Bluſe, Hoſe (event. ohne Lederbeſatz), kurzer Mantelkragen
der Zuaven, Käppi; ferner eine dunkelfarbige Tuchbinde mit
rothem bezw. ſilbernem oder goldenem Fahrrad; zwei Flanell-
hemden (von Unterbeinkleivern iſt nichts erwähnt). Als Fuß-
bekleidung dient der Jnfanterieſtiefel mit Ledergamaſchen. Da
Letztere ſich jedenfalls als zu ſ<wer erwieſen haben, ſo ſind ſie nach
neuerer Ordre dur< Zeuggamaſchen erſet. Als zweites Paar
*) Ein guter Radfahrer legt unter normalen Verhältniſſen ohne be-
ſondere Schwierigkeit 120 km in jehs Stunden zurüd, Deutſcher Sechs-
Stunden: Straßenrekord wurde am 1. Juli 1894 etwa 170 km,
3*
zöſiſc<e Heeresleitung, an dexen Spitze übrigens jetzt derſelbe
v Fußbekleidung dient bei der Jnfanterie der Hausſchuh, bei
ex Kavallerie der kurze Stiefel.
Die Ausrüſtung beſteht aus dem Torniſterbeutel, einem
Sädhen für Depeſchen, kleiner Trinkflaſche mit Becher und dem
Torniſter; Letzterer wird gefahren.
Dieſe Kleidung tragen nur die Radfahrer des Beurlaubten-
ſtandes. Die Radfahrer des ſtehenden Heeres tragen die Uniform
des Truppentheils.
Benutzt wird (Kap. 3) das niedere ſchwere oder leichte
Touren - Zweirad. Beſtimmte Kommiſſionen ſchäzen die mit-
gebrachten Räder ab, während die ſtaatlichen Räder bei der Mobil-
machung als Reſerve zum Erſaß für unbrauchbar gewordene
Räder mitgeführt werden.
Die Nadfahrer des Beurlaubtenjtandes erhalten außerhalb
der Garniſon 2,50 Francs per Tag Zulage, ebenfalls „aus-
nahmsweiſe“ die des ſtehenden Heeres, wenn durch ihren Dienſt
eine Verpflegung beim Truppentheil nicht ſtattfinden konnte. Jn
der Garniſon erhalten Erſtere 0,50 Francs reſp. 0,75 Francs
(bei den Manövern) für Abnußung und «kleinere Reparaturen.
Größere Reparaturen übernimmt nach aufgenommener Verhand-
lung, falls niht Fahrläſſigkeit vorliegt, der Staat.
Der dritte Theil der Vorſchrift giebt Uebergangsbeſtim-
mungen. Hervorzuheben iſt dabei, daß hier eine vorläufige Be-
waffnung mit dem Kavallerie-Karabiner (36 Patronen) in Aus-
ſiht genommen iſt; ferner, daß die in Theil 1 erwähnten
Grundſäße niht abſolute Regeln bilden, vielmehr
werden die kommandirenden Generale ſowie die Leiter
von Garniſonübungen darauf hingewieſen und ermäd-
tigt, Radfahrer zur Aufklärung und zum Gefecht heran-
zuziehen.
Aus dieſem letzten Paſſus geht hervor, wie wenig die fran-
—_— — — —
EEE pe
97
Dd
General de Boisdeffre ſteht, der unter Miribel Präſes
der Radfahrerkommiſſion war, die momentane Anwendung
des Rades für völlig ausgenußt hält, wie man im Gegentheil
zu fortwährenden neuen Verſuchen anſpornt, die den neuen und
neueſten Erfindungen der Fahrradinduſtrie entſprechend ſicher be
deutende Neſultate haben werden. Der Verfügung vom 2. April 1892
iſt folgende Tabelle beigefügt, welche die Zahl der jedem Truppen-
theil zuzutheilenden Radfahrer enthält:
Stab des Armeekorps . . . . 8 Radfahrer
Kommandeur der Artillerie des
VENDE a 2
Kommandeur des Geniedes Armee-
TO HERE IRRE a ee
STE QU UNSERES ENSE 2. learn? -
Werleralauzl intim 1:4 5 5 oe -
Kallemumdsryeloppif Au. arm Men
ZTelegraphenabtheilung der erſten
QU 42 Bm an li
Hauptquartier einer Jnfanterie-Diviſion:
Stab der Divifion , 4 Radfahrer
Stab der Diviſions-Artillerie 2
Diviſions-Fntendantux . 2 -
Sanitätsdienſt 1 -
Kaſſe und Feldpoſt 2 2
Hauptquartier einer ſelbſtändigen Kavallerie-Diviſion:
Stab der Diviſion ... . . . . 4 Radfahrer
Kommandantur der Diviſions-
Mvtilleyienkesn are O SEED 2
Unterintendant der Diviſion . . 1
Kaffe und Feldpoft . . . . . 2
Stab einer Spnfanterie- Brigade . 2 -
Stab einer Kavallerie-Brigade . 2 =
Snfanterie-Negiment 4 Radfahrer
BügeiDularllores 3 -
Genie-Kompagnie der Diviſion 1
Kavallerie Regiment . ...2 -
Kommandantur der Korps-Artillerie 2 -
Stab der Kolonnen-Abtheilung 2
Feldlazareth des Hauptquartiers 1 -
Feldlazareth der Diviſion . 1
Feldlazareth der ſelbſtändigen Ka-
vallerteZD!v! oE S
Selöbäderen I -
Gemäß dieſer Tabelle gebraucht die franzöſiſche Armee in
ihrer heutigen Friedensſtärke etwa 2500 Radfahrer, in Kriegs-
ſtärke etwa 5000 Radfahrer.
Dieſe Anzahl (2500) iſt in den lezten Herbſtübungen nicht
erreicht worden,*) jedod dürfte ſich im Laufe der Zeit die Zahl
fompletiven, da momentan dieſer populärſte Sport in Frankreich
einen enormen Aufſhwung erreicht und ſämmtliche Klaſſen der
Geſellſchaft ihm Wohlwollen entgegenbringen. So befinden ſich
laut Reſultat der Fahrradſteuer 132 276 Räder im Privatgebrauch;
dazu kommen noh diejenigen, die im Armeedienſt und bei der
Verwaltung gebraucht werden. Während die franzöſiſche Heeres-
leitung ſo Schritt für Schritt vorwärts gegangen iſt, hat ſie ſich
doh in einem Punkt übereilt. Man hat nämlich die Anfertigung
der 600 „Friedens“ - Fahrräder den Artilleriewerkſtätten von
Puteaux übergeben. Dort war natürlich nichts auf eine ſolche
Fabrikation eingerichtet, und ehe die entſprechenden Werkzeug-
maſchinen beſchafft waren, war das geplante Modell von einer
großen Menge Neuerungen überflügelt, ſo daß das offizielle Rad,
E *) Man hat aus dieſem Grunde ſogar von der theoretiſchen Prüfung
Abſtand genommen und Radfahrer 2. Klaſſe auch zu
höheren Stäben und
der Kavallerie fommandirt.
39
ohne Pneumatikreifen und 23 kg ſc<wer, völlig veraltet erſcheint.
Es iſt übrigens bezeichnend, daß von deu erſten 328 hergeſtellten
Rädern nur 258 für den Gebrau< als geeignet ſeitens der be-
treffenden Kommiſſionen abgenommen ſind.
Seit dem Frühjahr 1894 wurden dieſe veralteten Räder
dur ſolche neuerer Konſtruktion (M/1893) allmählich erſetzt, und
wenn auch dieſe den Anforderungen mehr entſprechen ſollen, ſo
wird dennoch in dieſer Hinſiht der Staat vorläufig beſſer die
Privatinduftrie in Anfprud nehmen.
Eine weitere „vorläufige“ Anweiſung für den Dienſt erſchien
ſeitens des Kriegsminiſteriums am 2. Auguſt 1892. Dieſe iſt
ſchon ziemlich detaillirt gehalten. Sie weiſt auf die Ausnutzung
der Radfahrer an Stelle der Meldereiter hin, ferner auf ihre
Verwendung zur Herſtellung und Unterhaltung der Verbindung
zwiſchen getrennten Heerestheilen beim Marſch und in der Ruhe.
Auf dem Marſh ſei ihr Plaß an der Spite der Kolonnen; geht
es querfeldein, jo benugen fie Paralleljtvagen oder folgen. Beim
Gefecht würden ſie ſelten zu verwenden ſein; ſie bleiben in der
Reſerve, „um auf Aufgaben zu warten, denen ſie gewachſen ſind“.
Auf Anwendung zur ſelbſtändigen Aufklärung ſowie
zum Parteigängerkrieg wird hingewieſen. An der oben-
erwähnten Prüfung dürfen nunmehr auch Leute des dritten Jahr-
ganges theilnehmen. Jm Uebrigen ändern ſich die Beſtimmungen
vom 2. April deſſelben Jahres nicht.
Bei den letzten franzöſiſchen Manövern iſt von den Rad-
fahrern umfaſſender Gebrau< Jgemac<ht worden. 1892 wurden
3. B. die Meldungen und Befehle, die von den Feſſelballons aus-
gingen — General Gallifet befand ſich bei den Manövern um
Colombey drei Stunden in einem ſolhen = zum Theil durch)
Radfahrer weiter befördert. Beſondere Verwendung fanden ſie
bei den Kavalleriemanövern 1893. Jm Ganzen waren bei der
40
Diviſion d'Espenvilles 25 Fahrer eingezogen. Sie wurden zu
folgenden Dienſten benußt:
1. zur Verbindung zwiſchen den Stäben und den Truppen
(ſie machten hier den Dienſt berittener Ordon-
nanzen vollſtändig überflüſſig); <
2. während der Märſche;
3. während des Manövers bezw. Gefechts;
=
zur Rekognoszirung.
Der Progres militaire nennt fie „das einzige praktiſche
Verkehrmittel, ſolange das Feldtelegraphennes no< nicht her-
geſtellt iſt“.
Hervorzuheben iſt die Verwendung des Rades bei Rekognoszi-
rungen. Ein oder zwei Fahrer begleiteten den „Rekognoszirungs-
chef“, welcher ſie dann benußte, um ſeine Meldungen zurü>-
zubefördern; dieſe „gemiſchte“ Patrouille erſcheint in mancher
Beziehung ganz praktiſch.
Den Bewegungen der Kavallerie in den verſchiedenen Tempos
zu folgen, zeigte jih als jehr anftrengend; man gab den Rad-
fahrern deshalb die allgemeine Marſchrichtung an,
bezw. Rendezvouspunkte, auf denen ſie vor der Truppe
anzulangen pflegten.
Der querfeldein reitenden Abtheilung folgten ſie
auf Paralleljtraßen, ohne jie — allerdings unter Schwierig-
keiten — aus dem Auge zu verlieren.
Auffallend iſt, daß ſie im Hauptquartier nicht unter dem
Befehl eines Offiziers, ſondern eines (ebenfalls radfahrenden)
Sergeanten ſtanden.
Bis zu fechtenden Radfahrerabtheilungen iſt man in Frank-
rei) no niht gekommen, wenigſtens hat Verfaſſer keine Nach-
rihten darüber finden können; daß man von ihnen nicht weit
mehr entfernt iſt, geht aus Obigem hervor.
41
Erwähnenswerth iſt der Betrieb des Nadfahrens auf der
bekannten Schule von Joinville. Auf ihr iſt das Radfahren
zuerſt ſyſtematiſch gelehrt und hier das Jntereſſe für eine all-
gemeine Verwendung in der Armee wacgerufen. Auch höhere
Offiziere haben dort ihre Radſtudien gemacht, z. B. der Brigade-
general. Tronf. Jedoch iſt die Beurtheilung dieſes Sports
ſeitens der höheren Offiziere noh eine ſehr verſchiedene. General
Bouſſenard, Kommandeur des 5. Korps (Orléans) hat den
Offizieren verboten, in Uniform zu fahren. General d’Espeuilles
(13. Korps) hat den Offizieren geſtattet, bis 1 Uhr in Uniform
das Rad zu benutzen. “Jm 6. Korps dagegen iſt au< Unter-
offizieren und Mannſchaften offiziell anempfohlen, von Fahrrädern
in und außer Dienſt Gebrauch zu machen. Der frühere Kriegs-
miniſter Loizillon, ein alter Kavalleriſt, ſoll kein großer Freund
der Radler ſein.*) Jm Uebrigen aber ſoll die Mehrheit der
hohen Generalität für den Sport eingenommen ſein, unter ihr
gilt als beſonders dafiir eintretender Verfechter Gallifet.
So ſollen in dieſem Jahre (1894) unter Leitung General
de Gallifets Manöver ſtattfinden. Nach Angabe der „Radfahr-
Chronik“ werden hier „von ſeinem unmittelbaren Gefolge Nieder-
räder mitgeführt werden, welche ſowohl zu ſeiner eigenen Benußung
B
als auch für Offiziere des Generalſtabes bereit gehalten werden“.
Der berühmte Reitergeneral iſt 1830 geboren und ſoll ſchon
lange paſſionirter Radfahrer ſein.
In der italieniſchen Armee hat man die erſten Verſuche vor
dem Jahre 1874 gemacht, X*) aber erſt 1886 wurde die veglemen-
tariſhe Einführung des Velocipeds beſchloſſen, alſo in der Zeit,
in der die jogenannten „safetys“ (Niederräder) in Gebrauch
kamen. Es ift anzunehmen, daß das anfangs etwas jchwerfällige
Niederrad in Stalten nod) wenig befannt war; vielleiht jtanden
*) Uebrigens ſagt „La Lanterne“ das Gegentheil!
XX) Nach einem Artikel der „Lanterne“ ſchon 1870.
Stalien.
42
ſeiner Einführung aud) die Vorurtheile dev enthuftasmirten Hod)-
vadler entgegen — jedenfalls hätte man beſſer gethan, wenn man
mit der Einführung des Hochrades nod) gewartet hätte. Dberjt-
lieutenant Maſſaglia ſpricht ſich über das reglementariſhe Rad
ſehr wenig vortheilhaft aus: bei aller Eleganz ſei ſeine Hand-
habung ſc<wierig, ſeine Haltbarkeit unzureichend, ferner dazu
angethan, bei abfallendem Terrain ſchwere Stürze zu veranlaſſen,
ſchließlich ſei es auf auc< nur mittelguten Wegen unbrauchbar.
Er empfiehlt zugleih das Niederrad (bieyclette), welches zwar
nicht jo gut ausjähe, aber auch jene Fehler, entbehre. ES find
demgemäß auch mit neueren Maſchinen (au< mit zuſammen-
legbaren) Verſuche gemacht worden, deren Uebexlegenheit man
anerkennt; gleichwohl werden no< die veralteten Räder dort
verwendet: der Geldpunkt iſt hier eben entſcheidend! =- Den
militäriſchen Berichterſtattern, die niht mit dem Weſen des Fahr-
rades völlig vertraut ſind, müſſen dieſe alten Räder einen wenig
guten Eindru> machen; an abſprehenden Urtheilen bezüglich ihrer
Anwendung in den italieniſhen Manövern (z. B. Deutſche Heeres-
Zeitung Nr. 87/1892) fehlt es demgemäß niht. Dennoch werden
ſie intenſiv verwendet, und zwar als Feldpoſt, zu Ordonnanz- und
Stafettendienſten, zur Sicherung und Verbindung einzelner
Truppentheile, ferner beim Feldwachdienſt, weniger zu eigentlichen
Rekognoszirungen. Bemerkenswerth iſt die Heranziehung von
Civilklubs mit ihren auf der Höhe der Zeit ſtehenden Maſchinen
zu militäriſchen Verſuchen und Uebungen.
Der Erſatz der alten ſtaatlihen Maſchinen durc< moderne
Konſtruktionen findet ſeitens der Artilleriewerkſtätten von Pavia ſtatt.
Aus einem grimdlichen Studium der Yeijtungsfähigfeit der
modernen Maſchinen leitet Oberſtlieutenant Maſſaglia ſein
Eintreten für eine Vermehrung und Verbeſſerung des militäriſchen
Radfahrweſens Jtaliens her. Er tritt natürlich für das Nieder-
rad ein und will als erſte Forderung die Zahl der Radfahrer
43
für jedes Regiment von drei auf vier erhöhen. Seine übrigen
Organiſationsvorſchläge dürften kaum ihrer Ausführung nahe ſein.
Rußland hat erheblich ſpäter Radfahrverſuche gemacht. Um
ſo umfaſſender iſt die miniſterielle Ordre vom 9./21. Juli 1891.
Letztere weiſt jedem Fnfanterie-Regiment acht, jedem Jäger-Bataillon
vier Radfahrer, ebenſo viel (Nr. 74/1893 der „Mil. Pol. Blätter“)
jedem Kavallerie-Regiment zu. Sie ſollen bei ihren Truppen-
theilen vorzugsweiſe zur Aufklärung dienen. Mindeſtens zwei
Offiziere eines Regiments ſollen im Radfahren ausgebildet ſein.
Für die Mannſchaften liefert der Staat die Maſchinen, die
nad) Angabe der Artilleriebehörden in den Artilleriewerkftätten
fabrizivt werden. Die Offiziere fahren eigene Räder. Um zur
Anſchaffung zu ermuntern, iſt eine Beihülfe von 3 Rubeln 60 Ko-
peken (etwa 11,30 Mark) angeſebßt, ſowie 1 Rubel 60 Kopeken
(4,80 Mark) jährliche Unterhaltungskoften. Sit dieſe Beihülfe
au< minimal, ſo iſt ſie do< ein Zeichen, wie Rußland vor allen
Dingen den Schneid und den Sinn für körperliche Uebungen in
ſeiner Armee, ſpeziell auch unter den Offizieren, zu heben ſucht.
Davon geben die Jagdkommandos, die Pflege des Schneeſhuh-
ſports, ferner auch die Lawa und beſonders die Djighitowka der
Kaſaken zur Genüge Zeugniß.
Am 1./13. Auguſt 1893 fand auf dem Chodynski-Exerzir-
plate bei Warſchau ein Wettfahren von Offizieren und Mann-
ſchaften ſtatt, der Platz ift undauffirt und nicht für Rennen
eingerichtet, alſo eine Art Straßenrennen. Diſtanz: 6 Werſt =
6,4 km. Die Fahrzeit betrug 17?/2 bis 22/2 Minuten.
Ueberhaupt hat man in ruſſiſchen Offizierkreiſen viel Sinn
für den Radſport. So geben die Löbellſchen Fahresberichte 1892
Nachricht von einem Kaſaken - Artillerieoffizier, der mit einem
Begleiter während ſeines Urlaubs eine Tour über den Kaukaſus
nach Tiflis (höchſter Uebergangspunkt 8000 Fuß) zu machen
beabſichtigte. Der Berichterſtatter bemerkt hierzu: „Dex betreffende
Rußland.
4
| Herr ſchien in dieſer Gebirgstour gar feine Schwierigkeiten zu
erbli>en“, die auh thatſähli< niht vorhanden ſind.
Schweiz. In der S<hweiz hat ſich die Einführung des Nades verhält
nigmäßig ſ<nell und umfangreich vollzogen. Der Mangel an
Pferden weiſt auf einen ſolchen Erſatz hin. Ferner iſt die Heeres-
| verfaſſung, die einem jeden Heerespflichtigen ſeine Waffen und
11] Ausrüſtung, dex Kavallerie ſogar das Pferd, nah Hauſe giebt,
dur<haus dazu angethan, die Organiſation von Radfahrer-Abthei-
N lungen zu unterſtützen.
| Kleinen Verſuchen der Vorjahre iſt die erſte offizielle Benutzung
des Rades 1890 gefolgt. Bei der 1. und 2. Diviſion wurde
eine Radfahrer-Sektion, - 1 Sergeant und 11 Mann, aufgeſtellt;
j dieſe beſtand aus 7 Soldaten und 4 Mitgliedern eines Velociped-
11] Hubs, die ſich den Behörden zur Verfügung geſtellt hatten. Trotz
a ungünſtigen Geländes, fortwährenden Regens und mittelmäßiger,
ja ſc<lec<hter Wege, deren Enge das Vorbeifahren an den Abtheilungen
| erſchwerte, haben die Radfahrer große Erfolge gehabt. So
" machten ſie 3. B. das Ueberbringen der Diviſionsbefehle dur<
berittene Ordonnanzen (Guiden) unnöthig.
Das Gejeß vom 3. Juni 1891 beſchloß die nunmehrige
vollſtändige Organiſation, die am 19. Dezember dieſes Jahres
dur< den Bundesrath zur- Ausführung gelangte.
In dieſem ſind vorgeſehen: 1 (berittener) Offizier und
15 Fahrer (darunter 3 Unteroffiziere) für den Generalſtab der
Armee, 8 Fahrer“ (2 Unteroffiziere) für einen Diviſionsſtab,
4 Fahrer (1 Unteroffizier) für einen Landwehr- Brigadeſtab.
Ferner bilden die Fahrer des Bezirks einer Landwehr-Diviſion
ein Radfahrer-Detachement für den Etappen-Territorialdienſt.
| Die Militär- Radfahrer rekrutixen ſih in exſter Linie aus
ſolhen Radfahrern, die aus irgend einem Grunde für den Dienſt
mit der Waffe untaugli<h ſind. Hierdux< will man möglichſt
Nonvaleurs vermeiden, Jhren Urſprung hat dieſe Anordnung
45
wohl daher, daß für den Militärdienſt unbrauchbare bezw. mili-
täriſh nicht ausgebildete Sportsleute, die ſich bei den oben exr-
wähnten Uebungen freiwillig geſtellt hatten, ſich 1890 vorzüglich
bewährt haben. Jn zweiter Linie ergänzen ſie fid) nad) Bedarf
aus Dienſtpflichtigen, „die ſich beſonders dazu eignen“, mit anderen
Worten, die den Sport {hon vorher getrieben haben. Jhre
Größengrenze iſ auf 1,53 m feſtgeſeßt, ihre Sehſchärfe muß
mindeſtens „1/2“ ſein. Marſc<fähigkeit und Kenntniß des Rad-
fahrens ſind außerdem erforderlich.
Jm Ganzen ſind vorgeſehen: 1 Offizier (beritten) und 231
Fahrer (darunter 51 Unteroffiziere), die ſi< bei der mobilen
Armee um 10 pCt., alſo auf etwa 254, erhöhen dürften.
Die zum Radfahrdienſt eingezogenen Mannſchaften haben
zuerſt eine Rekrutenſchule dur<zumachen und genießen dann thre
eigentlihe Ausbildung als Nadfahrjoldaten unter Leitung des
Generalſtabs. Der Kurſus dauert drei Wochen. Der erſte fand
1892 vom 31. Auguſt bis 20. September ſtatt; 250 Mann
nahmen daran theil. Oberſt Leupold leitete ihn; fünf Offiziere
des Generalſtabs dienten als Fnſtruktoren 1. Klaſſe; ferner waren
zehn Jnfanterieoffiziere als Jnſtruktoren 2. Klaſſe thätig, der
Dienſt exſtre>te ſich auf Radfahren, Revolverſchießen (auch vom
Rade), Krokiren; ferner Meldeweſen, Heeresorganijation, Dienjt-
kenntniß und Büreaudienſt. Die Koſten dieſes Kurſus haben
übrigens 35 000 Francs, einſ<l. Bekleidung und Ausrüſtung gegen
70 000 Francs betragen.
Jedes zweite Fahr findet beim „Auszuge“*) ein Wieder-
holungsfurfus mit den betreffenden Stäben oder, wenn dieſe
niht einberufen find, ein eigentliher Nadfahrer-Wiederholungs-
kurſus von 10 Tagen ſtatt.
*) Das ſchweizeriſche Milizſyſtem theilt die Heerespflichtigen in „Aus=
zug“ (12 Jahre), „Landwehr“ (12 Jahre) und „Landſturm“ (vom 17. bis
50. Jahre) ein.
Holland.
46
Di
o
Bewaffnung der Radfahrer beſteht aus dem Revolver
und dem Seitengewehr; Letzteres, „um ihm ein mehr militäriſches
Aeußeres zu geben“.
Die Kleidung iſt etwas für das Radfahren zurec<htgeſtußt:
Käppi und Feldmütze, Waffenro>X mit kurzen Schößen und
Umlegekragen, Aermelweſte, Radmantel mit Kapuze, ein Paar
Fahrhoſen mit Tuchbeſaß, wel<e bis zum Knöchel reihen und
dort angeſchnallt werden. Ein Baar Gehhojen, jhwarze Hand-
\huhe, Gamaſchen, Jnfanterieſhuhe; ferner Patrontaſche, Karten-
taſche, Brotbeutel (Torniſter wird gefahren), Kochgeſchirr, Feld-
flaſche.
Zur Ausrüjtung des Rades gehören: ein Felleiſen auf dem
Gepädträger, zwei Mantelträger mit Riemen, eine Radſtütze jo-
wie eine Vorrichtung zum Aufhängen der Kartentaſche.
Beſoldung und Kompetenzen ſind die der Jnfanterie, nur be-
kommen die Radfahrer die Zulage der den Stäben zugetheilten
Guiden von 1,50 Francs pro Tag.
Die Maſchinen, die vorläufig Jeder ſelbſt mitbrachte, werden
beim Eintritt abgefhäßt und die Abnutzung durch eine entſprechende
Summe beim Abgang vergütet, Etwa beſonders entſtandener
Minderwerth wird extra vergütet. Dur< Bundes8geſetz vom
19. Dezember 1891 iſt beſchloſſen worden, ein einheitliches Fahr-
radmodell von Staats wegen zu bauen und den Militär-Radfahrern
zum Selbſtkoſtenpreiſe zu überlaſſen. Maßgebend hierfür ſind die
Vortheile geweſen, die in der gleihmäßigen Ausbildung und dem
leichteren Erſatz abgenutzter oder beſchädigter Theile liegen.
In Holland wird das Rad ſeit 1888 in der Armee ver-
wendet. Die Mitglieder der Holländiſchen Radfahrer - Union
(„U. V.“) haben ſich dort dem Kriegsminiſter zur Verfügung
geſtellt. Die Bedingungen der Einſtellung als Militär-Radfahrer
waren von ähnlichen Vorausſezungen abhängig wie in der fran-
zöſiſhen Armee; dazu trat die Bedingung der Angehörigkeit zur
———
47
„U. V.“ Sie haben den Rang und die Stellung etwa zwiſchen
Feldwebel und Offizier — ſie eſſen z. B. an der Dffiziertafel.
Man bildete ſich mithin eine Art Elitekorps.
Die Radfahrer verpflichten fih auf fünf Jahre mit drei-
wöchiger Uebungszeit. Sie erhalten für jede Uebungsperiode
100 Francs für Abnubung des Rades ſowie für jeden Tag
aktiven Dienſtes 10 Francs. Jhre Uniform iſt ein blauer Attila
mit der für den Sport geeigneten Beinbekleidung. Als Maximum
ihrer Zahl iſt 75 angegeben.
In Belgien hat man 1890 die erſten größeren Verſuche
gemacht. Seitens der Ligue vélocipédique belge ſind die erſten
Schritte zur Einführung geſchehen, welhe dem Kriegsminiſter
General Pontus Räder und Fahrer zur Verfügung ſtellte.
Bei den Manövern in Oſt- und Weſtflandern ſowie bei
Antwerpen waren die Leiſtungen der Radler derart, daß man zu
einer militäriſchen Organiſation überging. Noh im Herbſt
(11. November 1890) wurden den Pupillenſhulen zu Aloſt und
Namur, ferner der Karabiniers-Regiments\<hule zu Wavre ſeitens
des Staats Fahrräder zur Verfügung geſtellt. Bei dem Karabinier3-
Regiment ſollten beſondere Verſuche vorgenommen werden, um
ihre Verwendbarkeit auch in der Abtheilung zu erproben. Frei-
willig ſic) meldende Unteroffiziere bilden dieſelbe.
Im Manöver 1891 wurden dem Diviſionsſtabe 12 von
dieſen beigegeben. Auc< 1892 haben Radfahrer an den Manövern
theilgenommen. 1893 nahmen u. A. neun Mann der Radfahrer-
Abtheilung des Karabiniers - Regiments an den Manövern der
Kavallerie- Diviſion im Lager von Beverloo theil. Anfangs
waren vier dem Diviſionsſtabe, je einer den Regimentern und der
Artillerie zur Verfügung geſtellt. Sie dienten während der Märſche
als Quartiermacher und ſtellten ſih dann zum Meldedienſt zur
Verfügung. Später waren jämmtlihe Fahrer dem Divifions-
kommandeur unterſtellt. Die Belgique militaire ſagt: „Am
48
26. Juni ließ der die Diviſion befehligende Generallieutenant die
Radfahrer ſich auf der Heide tummeln und war über das leichte
Bewegen der Maſchinen in einem ſandigen, aus Vertiefungen und
Erhöhungen beſtehenden und mit großem wildverwachſenen Pflanzen-
geſtrüpp, Ginſter und dichtem Heidekraut beſäten Gelände ſehr
erſtaunt.“ Auch im Uebrigen ſpricht ſich dieſes Blatt anerkennend
über die Leiſtungen der Militär- Radfahrer aus, die mannig-
faltigſter Art waren.
Welche Bedeutung man in der belgiſchen Heeresleitung dem
Rade unterlegt, geht aus der kriegsminiſteriellen Verfügung hervor,
nad welder Eijenbahnwagen*) ſpeziell zum Transport von Fahr-
rädern eingerichtet ſind. Ein Wagen faßt 30 Maſchinen, von denen
die Hälfte aufgehängt iſt. Militäriſche Uebungen haben mit dieſen
bereits ſtattgefunden. Ein größeres Relaisfahren (240 km) fand
im Frühjahr 1894 mit voller Jnfanterieausrüſtung ſtatt, deſſen
Zeitreſultate fih auf etwa 15 Stunden geſtellt haben. Der
Grund dieſer verhältnißmäßig „ſc<le<hten Zeit“ ſoll neben un-
günſtigem Wetter das Ueberſchreiten mehrerer unüberbrücter
Flußläufe geweſen ſein.
Unter den Offizieren hat der Sport große Verbreitung.
Dieſen war anfangs verboten, in Uniform zu fahren, ſodann
wurde den Antwerpenern geſtattet, das Zweirad zu benutzen. Das
Intereſſe, welches Prinz Albert**) für den Sport bewies, hat
nunmehr ſämmtlichen Offizieren die Erlaubniß erwirkt, vormittags
in Uniform zu fahren, während ſie nachmittags zu dieſem Zwe
Civil anzulegen haben. Der Prinz ſteht jezt an der Spitze des von
*) Eine ähnliche Einrichtung iſt auch von einer Nizzaer Eiſenbahn-
geſellſchaft getroffen worden, jedoch ſteht die Benutzung derſelben allen
Radfahrern zur Verfügung.
X*) Prinz Albert, Sohn des Grafen von Flandern, Neffe des Königs
Leopold, iſt der Thronerbe. Der König ſelbſt benußt im Park von Laeken
ein Dreirad, der Depeſchendienſt zwiſhen dem Schloß zu Laeken und Brüſſel
wird durch Militär-Radfahrer beſorgt.
49
Offizieren gebildeten Cercle royal militaire de vélocipédie,
deſſen Vize-Ehrenpräſident Generallieutenant Boyet iſt.
Sn Defterreih-Ungarn wird das Radfahren militäriſcherſeits
ſeit 1885 getrieben.
In den Militärſchulen (auch auf der Kadettenſchule Y
Neuſtadt) wird es erlernt und die Radfahrer dann an die Stäbe
dien-
CT
und Truppentheile vertheilt. Am Schluß des Kurjus findet dann
unter Führung eines Majors eine größere Uebungsfahrt ſtatt.
In den Jahren 1890 und 1891 ging eine ſolhe na< Trieſt;
der Führer der erſteren war (na< Stadelmann) 54 Jahre alt.
Auf der „Tour“ werden militäriſche Aufgaben gelöſt, in ähnlicher
Weiſe wie bei unſeren taktiſchen Uebungsritten. Die Maſchinen
ſind vom Staat geliefert. Wett- und Dauerfahrten für Mann-
haften und Offiziere ſind in verſchiedenen Garniſonen (Graz und
Linz) veranſtaltet und fanden auch 1894 wieder ſtatt. Der Kaiſer
interejfirt ji jehr für den Sport und mehrere Angehörige des
öſterreichiſhen Herrſcherhauſes ſind eifrige Fahrer.
Auch bei dem Kaiſermanöver 1893 bei Günsfeld, denen
Se. Majeſtät, unſer Kriegsherr, beiwohnte, ſind Unteroffiziere und
EinjährigeFreiwillige, die im Belize eines Rades waren, als Rad-
fahrer verwendet.
Jn Bulgarien iſt jeder der ſe<s Jnfanterie-Diviſionen eine
Radfahrſektion in der Stärke von 1 Unteroffizier und 8 Mann
beigegeben. (Zu jeder Jnfanterie-Diviſion gehört außerdem eine
ſelbſtändige Eskadron.) Die Ausbildung findet bei Truppentheilen,
die in Sofia, Ruſtſchuk und Schumla (Pionter-Bataillonen?)
ſtehen, ſtatt.
In Serbien werden ſeit mehreren Jahren Verſuche mit Fahr-
rädern gema<t. An den Manövern 1893 nahmen Zöglinge der
Unteroffizierſhulen von Belgrad als Radfahrer theil.
Fn Spanien wurde 1890 eine Radfahrer-Abtheilung eingerichtet.
Sie gehört zum Eiſenbahn-Bataillon und beſteht aus 1 Hauptmann,
Frhr. v. Puttkamer, Das Radfahren. 4
Oeſterreih-
Ungarn.
Bulgarien.
Serbien.
Spanien.
Portugal.
50
1 Lieutenant, 2 Unteroffizieren und 12 Mann (na< der Revue
mil. de l’etr. 15 Mann). Sie ſtehen unter Leitung des General-
Inſpekteurs der Artillerie und der Jngenieure, welcher eine ent-
ſprechende Reglementirung dem Miniſterium vorgelegt hat. Dieſe
hat Ende 1893 die Königliche Beſtätigung gefunden.
Jn dem Bericht über die Manöver 1892 wird von einer
Abtheilung in der Stärke von 1 Sergeanten, 1 Gefreiten und
6 Mann geſprochen (Darmſtädter H. Z. 3/1893), die außer
Aufgaben, wie Rekognoszirungen, auh ſe<s Tage den Poſtdienſt
zu verſehen hatten. Die Reſultate ſollen befriedigend geweſen
ſein, trotzdem die ſchlechten Wege oft nur für das Niederrad zu
paſſiven waren. Man ſcheint alſo aud no< Hochräder verwendet
zu haben. Etwas bedenklich wird die ganze Notiz des Bericht-
erjtatters durch die letzte Bemerkung: „Mit Rückſicht auf den Zu-
ſtand der Wege ſind genügende Reſultate erzielt worden: im
Mittel 22 bis 24 km die Stunde.“ Um 24 km die Stunde im
Mittel zu erzielen, dazu gehören nicht nur vorzügliche Wege und
Maſchinen, ſondern auh vorzügliche Fahrer.
Unſere deutſche Fnduſtrie hat übrigens den Triumph, von der
ſpaniſchen Regierung die Lieferung der ſtaatlichen Räder erhalten
zu haben. Dieſe ſind laut direkter Ordre beſonders ſtark gebaut
und wiegen 18 bis 20 kg. (Nach Anſicht des Verfaſſers ſind
Räder von 20 kg für ungeübte Fahrer no< zu leicht, für gute
aber ſelbſt bei ſchlechten Wegen erheblich zu ſchwer. Dies wird
dur< die Fahrt des Grazer Radfahrers Gerger beſtätigt, der die
Stre>e Paris — Graz [1500 km] in 5 Tagen 16 Stunden
57 Minuten auf einem 11!/2 kg ſchweren Rade zurücklegte. Für
das Gewicht des Rades iſt in erſter Linie die Geſchi>klichkeit
des Fahrers maßgebend.)
Bezüglich Portugals beſchränke ih mich auf die Wiedergabe
eines Artikels der „Deutſchen Heeres- Zeitung" (Nr. 31/1894):
51
„Bei den im Oktober v. Js. im Lager von Tancos ab-
gehaltenen Manövern fanden militäriſche Radfahrer verjuhsweie
Verwendung. Der die Manöver leitende General ſpricht ſich über
dieſelben, wie folgt, aus:
Es war das erſte Mal, daß in Portugal die Militär-
Velocipedie offiziell Verſuchen unterworfen ward, und i< muß
ſagen, daß die Ergebniſſe derſelben jede Erwartung übertroffen
haben. Die- von Lieutenant Domingo Freitas ausgebildeten
und angeleiteten Radfahrer verſahen ſämmtliche in den Reglements
derjenigen Stationen, bei welchen dieſer Dienſtzweig bereits ein-
geführt iſt, vorgeſehenen Obliegenheiten. Sie dienten während der
Uebungen als Ordonnanzen des Hauptquartiers, verbanden die
verſchiedenen Staffeln der Kolonnen auf dem Marſch miteinander
und wurden auch zux Ueberbringung von Befehlen an in Schlacht-
ordnung entwi>elte Truppen verſandt. — Bei allen Dienſtleiſtungen,
die auf der Landſtraße, ſteil bergan und bergab führenden Vicinal-
wegen ausgeführt wurden, hatte man die Gewandtheit des Soldaten
und ſeine Widerſtandsfähigkeit ſowie die erſtaunliche Scnelligkeit
ſeiner Bewegungen zu beobachten Gelegenheit.«“
Auch bei den nordiſchen Armeen kommt das Radfahren in Ds
Aufnahme. Dänemark ſc<i>t 1100 Radfahrer ins Feld, für die 2
es im Frieden das Lehrperſonal organiſirt hat. Norwegen, über
das Stadelmann einen ſehx intereſſanten Bericht des Oberſt-
lieutenants Nyquiſt wiedergiebt, ſtellt Radfahrer-Sektionen auf.
Jn Schweden ſind ſchon ſeit längerer Zeit bei den Uebungen der
Judelta-Regimenter Radfahrer verwendet. Für 1894 iſt eine
Allerhöchſte Ordre erſchienen, die jeder Armee-Abtheilung (?) zehn
Radfahrer zutheilt. Dieſe ſind wie die Jnfanterie ausgerüſtet,
jedo< mit dem Revolver bewaffnet. Der Radfahrſport erfreut
fih hier ganz beſonders Allerhöhſter Gunſt. Der Kronprinz
Guſtav von Schweden iſt eifriger Radfahrer, Ehrenmitglied eines
Klubs und Protektor des ſ<wediſ<en Nadfahrerbundes; ſein Bruder,
4*
Vereinigte
Staaten von
Nordamerika.
England.
59
DÁ
Prinz Eugen, bedient ſich hauptſächlich zu Ausflügen des Rades,
die bis zu 80 km ausgedehnt werden.
Auch in der Armee der Vereinigten Staaten von Nordamerika
hat das Rad ſeine Anhänger. Verſchiedene Regimenter, ſo das
13. Snfanterie-Negiment (Brooklyn), haben erfolgreihe Verſuche
mit ihm gemacht. Seinen praftiihen Werth im Ernſtfall hat es
bei den Unruhen von Denver und Coippe-Creek (1894) bewieſen.
Das Colorado Cycle Signal Corps mobiliſirte hier mit 20 Fahrern
in einer Stunde 400 Mann.
England iſt die Heimath der körperlichen Uebungen. Der
Sport und die „Sportſpiele“ vertreten in England den Heeres-
dienſt, dem der Deutſche ſi< zu unterziehen hat. Der Körper
wird herangebildet, die Geſundheit geſtählt; das Zuſammenſein
mit Vielen gleichen Alters, ſei es beim Fußball, dem Cricket,
oder beim Rudern und Radfahren, pflegt den Sinn für Kamerad-
haft und ſtachelt den Ehrgeiz an. So iſt auc< England, nachdem
ein Deutſcher das Fahrzeug und ein Franzoſe die Pedale erfunden
hat, die eigentliche Heimſtätte des Bicycles geworden. Bis vor
allerkürzeſter Zeit hatte England unbeſtritten die Führung im
Radſport, jetzt allerdings ſcheint Frankreich, wenigſtens was die
Leiſtungen Einzelner betrifft, das Uebergewicht zu gewinnen.
Was nun das Militärradfahren betrifft, ſo liegt dies in der
engliſchen Armee hauptſächlich in den Händen der Volunteers.
Das ſtehende, bekanntlich geworbene Heer zieht hin und wieder
von jenen Radfahrer zu einzelnen Uebungen heran; eigene Rad-
fahrer-Organiſationen, Ordonnanzfahrer u. ſ. w. ausgenommen, be-
ſibt das engliſche ſtehende Heer niht. Bei den Volunteers ſind
aber die Radfahrer faſt eine Waffe für ſich geworden — freilih
iſt hier mehr der Sport, der ſich in den Dienſt des Vaterlandes
zu ſtellen ſucht, als die ſoldatiſche Jdee maßgebend.
Reiche Kommandeure organiſiren zum Theil auf eigene Koſten
derartige Abtheilungen, und die Exerzitien derſelben haben oft
mehr das Anſehen einer Spielerei. So verwenden ſie Säbel und
Lanze zu ihren Uebungen, deren Hauptzwe> jedo<h dann wohl iſt,
die Gewandtheit in der Handhabung des Rades zu zeigen und
niht den Gebrauch der blanken Waffe für den Ernſtfall zu üben.
Dennoch müſſen wix den Volunteers den Ruhm laſſen, daß
ſie bahnbrechend auf dieſem: Gebiete geweſen ſind. Sie ſind die
Erſten, die das Rad in faſt allen ne des Felddienſtes an-
gewendet haben. So berichtet uns Stadelmann (Das Stahlrad
U. ſ. w.), daß ſhon 1889 unter Major E eine 4- bis 5tägige
Uebung ſtattfand, die die Verwendung von Radfahrern zu folgenden
Zweden (kurz gefaßt) mit Erfolg verſuchten:
1. Aufklärung des Geländes, ſpeziell zur Vervollſtändigung
mangelhafter Karten;
2. Zerſtörung einer Eiſenbahn;
2
3. Aufklärung (Patrouillen gegen den Feind).
Schon im Jahre vorher waren im 1. Korps freiwillige
Radfahrer errichtet, und zwar in dex Stärke von 120 Mann.
Daſſelbe war mit Material zur Zerſtörung von Eiſenbahnen u. |. w.
verſehen. Jm Jahre 1891 war die Zahl ſchon auf 1776 ge-
wachſen. 1892 betrug die Stärke des Freiwilligen-Radfahrkorps
2218 Mann, wel<he im Jahre 1893 auf 2701 geſtiegen und
no< in fortwährenver Zunahme begriffen it. Man hofft, im
Falle einer Mobilmachung 20 000 geſchulte Radfahrer zur Ver-
fügung zu haben. Jhre Dienſtzweige ſind mannigfaltigſter Art.
Sie verſuchen Infanterie, Kavallerie und Artillerie zu erſetzen.
So koppelt man 3. B. durch eine einfache Vorrichtung (ſiehe Ab-
bildung) zwei Räder zuſammen, um kleine Mitrailleuſen und
Marim-Gejhüte zu transportiven. Beſonders ſtark konſtruirte
Dreiräder ſind für den Transport von Munition bezw. au< von
Mannſchaften eingerihtet. Auch in den Dienſt der Krankenpflege,
zum Transport Verwundeter ſowie von Medikamenten, Fnſtru-
menten und Verbandzeug wurden derartig verkoppelte Räder
Deutſchland.
54
geſtellt. Der Nuten des Rades wird von dex engliſchen Heeres-
leitung ſo hoh erachtet, daß jogar der Ausſchiffungs-Kompagnie
Radfahrer zugetheilt werden, um im Aufklärungsdienſt die fehlende
Kavallerie zu erſeen. Schon im letzten Aſhantikriege ſind Rad-
fahrer zur Uebermittelung von Meldungen und Befehlen benutzt
worden.
Augenblicklich iſt es der engliſche Taktiker Oberſtlieutenant
Saville, der für Militärradfahrer eintritt. Ju ihnen ſicht er
den beſten Erſatz für die oft beſprochenen reitenden Infanteriſten.
Ferner iſt Marſchall Wolſeley ſelbſt einer der eifrigſten Gönner
des Sports, der nad der „Lanterne“ ausgeſprochen haben ſoll,
„der Tag jet nicht mehr fern, an dem ein mächtiges Radfahrer-
korps einen integrirenden Theil aller Heere der Welt bilden wird“.
Noch im November 1893 ſagt ein Artikel der Revue milit.
Suisse: „Fidele ä sa methode d’observation constante et
opiniätre, l’Allemagne est vestee jusqu’a présent dans
l’expectative.“*
Auf der Militär-Turnanſtalt wurde ſhou ſeit einex Reihe
von Fahren ſeitens der Cötuslehrer den Hülfslehrern Unterricht
im Radfahren ertheilt. Seit 1893 dehnt ſich derſelbe auch auf
die Schüler aus, deren 30 bis 40 an dieſem theilnehmen. Jn
den Turnſälen werden die Anfangsgründe gelehrt, ſodann im
Garten der Anſtalt das Fahren im Freien weiter vorbereitet.
Im Sportanzug = alſo Civil — werden dann Touren unter
nommen, die ſich bis über 100 km ausdehnen. Auf einer Diſtanz-
Wettfahrt, bei der 1893 ſieben Herren mitfuhren, wurden vom
Erſten 105 km in 5%/4 Stunden zurückgelegt, der Letzte brauchte
61/2 Stunden.
Jm Kadettenkorps und auf den Kriegsſhulen wird das
Radfahren eifrig geübt, und mehr als 80 pCt. des Offizier-
erſabes vom Jahre 1894 hat das Radfahren mindeſtens ſo weit
55
erlernt, um auf ebener Chauſſee das Gleichgewicht halten zu
können.
Auf den Feſtungen iſt das Zweirad ſchon lange im Gebrauch, um
den Ordonnanzdienſt nach den entlegenen Forts zu erleichtern. Bezirks-
fommandos (Erfurt, Heidelberg) haben die Hülfe von Klubs zu einer
PBrobemobilmahung in Anſpruch genommen; andere haben die Namen
der dienſtpflihtigen Radfahrer für ſolhe Fälle vorgemerkt.
Als im Jahre 1892 ſeiteus des Deutſchen Radfahrerbundes
eine Stafettenfahrt mit Fahrrädern von Berlin nah Cöln
(600 km) mit 10 Relaisſtationen veranſtaltet wurde, wurde dieſer
ſeitens des Kriegsminijteriums das größte Jntereſſe entgegen-
gebraht. Bei der Abfahrt waren zwei Stabsoffiziere als Beauf-
tragte des Kriegsminiſteriums und der Direktor dex Militär-
Turnanſtalt, Herr Major Brix, zugegen. Lebterer gab außer
einer verſiegelten Depeſche no< die mündliche Parole: „All Heil
unſerm Kaiſer.“ Jn Cöln wurden Depeſche und Parole ſeitens
des Stadtkommandanten, Herrn Oberſtlieutenants v. Loſ<, und
mehrerer Offiziere in Empfang genommen. Die Geſammtfahrzeit
betrug 28 Stunden 37 Minuten. Das Kilometer wurde im
Durchſchnitt in 2/ Minuten gemacht.
Bei dieſer Fahrt bewieſen die 1892 no< re<t unvoll-
kommenen pneumatiſchen Reifen ihre Ueberlegenheit, denn die auf
jeder Station zuerſt eintreffenden drei Fahrer benutzten faſt alle
jene Art; andererſeits ſind auch viele dieſer Reifen beſchädigt
worden, ſo daß einzelne Radler gar nicht oder nur na< langem
Aufenthalt die Fahrt fortſezen konnten. Aus dieſem Grunde mag
wohl auch das abfällige Urtheil militäriſcherſeit3 gefällt ſein,
welches ſich aber nach außerordentliher Verbeſſerung des „Pneu-
matiks“ zu ſeinen Gunſten verſchoben haben dürfte.
Der Relaisfahrt folgte im nächſten Jahre die ſchon oben
erwähnte Diſtanzfahrt Wien--Berlin, deren Ausfall nicht nur
den Beweis der enormen Leiſtungsfähigkeit des Rades erbrachte,
56
ſondern au< zu einem Vergleich mit den Leiſtungen der beſten
Reiter und Pferde zwang. Jn demſelben Jahre ſind auch Ber-
gleihe zwiſchen Rad und Pferd angeſtellt. Dieſelben erſtre>ten
fi auf kürzere Diſtanzen (37 und 50 km), und hier erwies ſich,
daß die galoppirenden Pferde in der Schnelligkeit den Rädern
Minuten
überlegen waren. Die beiden Kavallevieoffiziere waren 7
vor den Radfahrern am Ziel. Als Gegenſtück hierzu möchte ih
den Diſtanzritt des Rittmeiſters v. K. mit 2 Unteroffizieren und
9 Mann ſeiner (5.) Esfadron vom Königs-Ulanen- Regiment
(Nr. 13) erwähnen. Von dieſen wurde die Stre>e Hannover —
Hofgeismar (etwa 300 km) am 24. und 25. April 1894 in
47 Stunden zurü>gelegt. Zwei Gefreite deſſelben Regiments be-
gleiteten die Patrouille auf Rädern, eilten denſelben voraus und
ſorgten für Quartier, Stallung und Futter. Ja, ſie übernahmen
ſogar bei eingetretener Ermüdung von Pferd und Reiter die Be-
ſorgung der Pferde bei Ankunft derſelben, ſo daß die Reiter ſofort
der Ruhe pflegen konnten =- übrigens ein weiterer Beweis dafür,
daß Radfahren weniger anſtrengend iſt als Reiten!
Im Frühjahr 1893 wurde den Offizieren und Mannſchaften
der Armee das Fahren in Uniform in und außer Dienſt geſtattet.
Im Manöver deſſelben Jahres ſind im deutſchen Heere Radfahrer
zum erſten Mal offiziell verwendet worden. Angehörige des Be-
urlaubtenſtandes, die ſich freiwillig meldeten, wurden als ſolche
eingezogen und entweder einzelnen Truppentheilen zugetheilt oder
auch in der Geſammtheit unter einem Offizier verwendet. Dieſer
Verſuch konnte keine Reſultate ergeben, die der möglichen Leiſtungs-
fähigkeit vorher geſchulter Radfahrer entſprechen. So hatte von
den 10 Radfahrern, die im 10. Korps dem Bruder des Ver-
faſſers unterſtellt waren, no< feiner eine nennenswerthe Stre>e
zurüd>gelegt; einer der Fahrer war 84 kg, ein zweiter 99 kg
ihwer; Gewichte, welhe ſhon an ſich die Verwendbarkeit des
Fahrers in Frage ſtellen.
y
Dd
Will man alſo Reſultate erzielen, die ein Bild der wirklichen
Leiſtungsfähigkeit geben, ſo müſſen die Radfahrer vorher geprüft,
einheitlich geſchult und wieder geprüft werden. Nicht eben jeder
Beſitzer eines Rades iſt Radfahrer, denno< iſt der allgemeine
Erfolg ein ſo günſtiger geweſen, daß in dem Militärbudget die
Beſchaffung von zwei Rädern pro Bataillon vorgeſehen Y
Unter den Offizieren der Armee findet der Sport als jolder
ſchon lange ſeine Anhänger, und kaum ahnt der Touriſt im En
im Thüringer Wald oder den bayeriſchen Bergen, daß der ſtaubige
Radfahrer ſonſt den bunten Ro> zu tragen pflegt. So benutzten
1892 die Lieutenants Frhr. v. P. (Füſilier-Regiment Nr. 73)
und v. d. L. (Artillerie-Regiment Nx. 26) ihren Sommerurlaub,
um Holland, Belgien, England und Schottland zu durchſtreifen,
ohne ein anderes Transportmittel als ihre „Maſchine“ und das
Dampfſ<hiff zu benutßen. Erſterer war im Vorjahre von Hannover
über Hamburg an der Küſte entlang nac< Stolp i. P. gefahren.
Lieutenant C. (Jnfanterie-Regiment Nr. 128) machte die Tour
von Danzig, ſeiner Garniſon, nac) Berlin in drei Tagen. Seit-
dem die Allerhöchſte Willensmeinung (ſiehe Anhang) die Aus-
breitung des Sports in der Armee begünſtigt, giebt es faſt in
jedem Jnfantevie-Negiment und Jäger-Bataillon bereits Offiziere,
die das Radfahren in und außer Dienſt betreiben.
Möge dieſe kleine Schrift die Zahl der Freunde dieſes Sports
in der Armee mehren helfen!
Anhang.
Kriegsminiſterium. Berlin, den 11. Oktober 1892.
Die Verbreitung, welche das Radfahrweſen in der Armee
zur Zeit gefunden hat, veranlaßt das Kriegsminiſterium zu fol-
genden Allerhöchſten Orts genehmigten Beſtimmungen.
Das Radfahren iſ den Offizieren und Mannſchaften ſowohl
im Dienſt als auch außer Dienſt geſtattet. — Fnwieweit es aber
zuläſſig erſcheint, daß Offiziere und Mannſchaften in den Straßen
und auf Promenaden das Fahrrad benutzen, haben je nach den
örtlihen Verhältniſſen die Gouvernements anzuordnen.
Bezüglich der Trageweiſe der Seitengewehre ſei bemerkt, daß
nad) den biSher gemachten Erfahrungen das umgeſchnallte Offizier-
Seitengewehr mit dem unteren Theile in eine etwa 20 cm lange
Schlinge von Leder oder Draht gelegt wird, welch letztere am
linken Handgriff der Lenkſtange anzubringen iſt.
Das Mannihafts-Seitengewwehr wird entweder ebenſo ge-
tragen oder mit ſeiner Taſche jo weit um den Leib herum nach
vorn geſchoben, daß es dem Fahrer nicht hinderlich iſt, eventuell
fann es aud aus dem Koppel herausgenommen und mittels
Riemen auf die Lenkſtange geſchnallt werden.
Die Ehrenbezeugungen der Mannſchaften ſind dur< Ein-
nehmen einer geraden Haltung und Anſehen des Vorgeſekten,
wobei langſamer gefahren wird, zu erweiſen.
gez. v. Kaltenborn.
59
Berlin, im April 1894.
Gelichtspunkte
für die Behandlung der Fahrräder ſowie für die Ausbildung
und Verwendung der Radfahrer in der Armee,
Die Anforderungen, welchen ein für Kriegszweke brauchbares Bauart.
Fahrrad entſprechen muß, ſind:
1. Ausgiebige Verwendbarkeit.
2. Einfache und ſichere Handhabung.
3. Dauerhaftigkeit.
Leichte Mitführung.
5. Schnelligkeit.
Hohe Zweiräder und Dreiräder genügen dieſen Anforderungen
nicht, ihre Mitführung in das
das militäriſche Radfahren kommt demgemäß nux noch das niedere
Zweirad (Sicherheitsrad, Safety) in Frage. Daſſelbe iſt einfach
und ſolide gebaut, hat ein geringes Gewicht, iſt leiht und ſicher
im Gebrau< und beſitzt hervorragende Schnelligkeit bei geringem
Kraftaufwand. Was die Konſtruktion betrifft, ſo muß das für
Militärzwe>e zu verwendende Niederrad (Militär-Fahrrad) aus
engliſchen Weldleß-Stahlröhren gefertigt und mit
einem Rahmengeſtell nebſt Gepäcktaſche,
einer Vorderradbremſe,
einer ſtaubfreien Kugelkopfſteuerung mit Radachſen, Tret-
R C
Feld iſt daher ausgejchloffen. Für
furbeln und Pedalen auf Kugeln und
einer Vorrichtung zum Feſthalten der Lenkſtange
verſehen ſein.
Was die Art der Radreifen betrifft, ſo ſind, nac< den bis-
herigen Erfahrungen, die Polſter- oder Luftgummireifen (ge
ſchloſſene Hohlreifen mit nicht geſpannter Luft- Cuſhion- Tyres)
die zwe>mäßigſten.
Zutheilung.
Ausbildung.
Breite Hohlgummireifen (Pneumatik) geſtatten zwar größere
Unabhängigkeit von den Bodenverhältniſſen, ſind aber nach den
bisSher vorliegenden Erfahrungen wegen ihrer außerordentlichen
Empfindlichkeit und der ſ<wierigen Behandlung für militäriſche
Zwecke niht verwendbar.
„ Die Zutheilung der Fahrräder erfolgt an die Bataillons-
ſtäbe. Eine Ueberweiſung von je zwei Fahrrädern für das Ba-
taillon wird für zwe>mäßig erachtet. Von Letzterem wird hin-
ſichtlich des dienſtlichen Gebrauches, der tro>enen Unterbringung
und der Juſtandhaltung der Fahrräder das Erforderliche zu ver-
anlaſſen ſein. Von der Sorgfältigkeit der Behandlung und der
Aufbewahrung hängt weſentlich die vorzügliche Leiſtungsfähigkeit
des Rades ab.
Die Benutzung der Fahrräder von des Fahrens unkundigen
Perſonen zu Yernzwecden ohne die nöthige Anleitung und Aufſicht
iſt unter allen Umſtänden zu unterſagen.
Nothwendige größere Reparaturen find nur durch den Fahr-
radfabrikanten, niht aber dur< Schloſſer oder Büchſenmacher
auszuführen.
Bei dem vorhandenen alten Material von Fahrrädern (Hoch-
und Dreirädern) iſt vor Ausführung von Reparaturen feſtzuſtellen,
ob Letztere im Verhältniß zu den dadurd entſtehenden Koſten no<
rathſam ſein werden.
Aufgabe des Bataillons iſt es, ſich bereits im Frieden eine
genügende Zahl tüchtiger und intelligenter Radfahrer heranzu-
bilden und dieſelben durc< fortgeſetzte Uebungen und geſteigerte
Anſprüche mehr und mehr zu vervollkommnen. Als Radfahrer
werden nur ſolche Leute auszuwählen ſein, die ohne Nachtheil für
ihre militäriſche Ausbildung zu dieſer beſonderen Dienſtleiſtung
herangezogen werden können. Die Ausbildung der Radfahrer
eines Bataillons iſt ſtets einem Offizier zu übertragen.
61
Als Anleitung für die Ausbildung diene Folgendes:
Man wähle einen freien feſten Platz, auf welden ein An-
fahren gegen feſte Gegenſtände ausgeſchloſſen iſt. Gerade dieſes
Anfahren verdirbt die Räder und macht ſie ſehr bald reparatur-
bedürftig und in kurzer Zeit unbrauchbar.
1. Das Auf- und Abſteigen am ſtehenden Rade.
Der Lehrer hält das Fahrrad mit beiden Händen von vorn
an der Lenkſtange feſt. Der Lernende tritt jo hinter das Hinter-
rad, daß ſich dieſes zwiſchen den Beinen befindet; alsdann ergreift
er mit Aufgriff die beiden Griffe der Lenkſtange, tritt mit dem
Ballen des linken Fußes auf den Auftritt und ſchiebt das Geſäß
unter Stre>en des linken Beines langjam nad vorn in den
Sattel. Die Fußballen ſtellen fich ruhig auf die Pedale. Der
Sitz muß ungezwungen ſein, dex Oberkörper ſteht aufgerichtet
und die Arme liegen ſo viel wie möglich ausgeſtre>t am Dber-
körper an,
Bei dem Abſteigen verläßt der linke Fuß das Pedal und
tritt mit dem Ballen auf den Auftritt, der Körper hebt ſich
unter Streden des linken Beines aus dem Sattel, der re<hte Fuß
ſtellt ſich entweder ve<ts vom Hinterrade nieder, oder kann auch
über das Hinterrad nad der linken Seite gehoben und dort
niedergeſtellt werden. Dex linke Fuß verläßt den Auftritt und
ſtellt ſich im exſterxen Fall links des Hinterrades nieder, im anderen
in Grundſtellung an den rechten heran.
2, Das Erlernen des Fahrens.
a. Erlernung des Gleichgewichthaltens beim vorwärts-
gehenden Rade.
Der Lernende ſtellt ſich hinter das Rad und ergreift die
Lenkſtange, wie unter 1 beſchrieben, indem er das Rad etwas nach
rec<ts überlegt, ſtellt den Ballen des linken Fußes auf den Auf-
62
tritt und ſtößt ſich mit dem rechten Fuß mehrere Male von dem
Boden kräftig ab, ftredt das linke Bein, ſtübt ſich mit den feſt
geſtre>ten Armen auf die Lenkſtange, das rechte Bein mit leicht
gebogenem Knie nah rü>wärts geführt, und läßt das Rad laufen,
indem er ſi< dux< ruhige Körperhaltung und nöthigenfalls dur<
Bewegung der Lenkſtange bemüht, das Gleichgewicht ſo lange als
möglich zu halten. Später kann auch das Gleichgewicht im Sattel
ſitend derart geübt werden, daß während der Fahrt die Pedale
loSgelaſſen und die Beine nac< vorwärts geſtre>t werden.
b. Einnehmen des Sitzes auf dem Sattel.
Aus der Stellung, wie unter a beſchrieben, ſchiebt ſich der
Körper nach vorn, indem der linke Fußballen no< auf dem Auf-
tritt verbleibt. Der Körper befindet ſich über dem Sattel, der
rechte Fuß tritt mit dem Fußballen ruhig auf das Pedal, wenn
es den Höhepunkt erreicht hat. Gleichzeitig ſchiebt ſi<h das Geſäß
in den Sattel, der linke Fuß verläßt den Auftritt und geht auf
das Pedal.
Hierbei, wie überhaupt bei den erſten Fahrübungen, hat der
Lehrer, mit derſelben Front wie der Uebende, folgende Hülfs-
ſtellung zu geben.
Er erfaßt den Yernenden mit einer Hand am Obexarm von
unten und ſucht ihn, wenn nöthig, im Gleichgewicht zu erhalten,
indem gleichzeitig die andere Hand die Lenkſtange erfaßt hat;
jpäter aud dur< Haltgeben dur< Erfaſſen am Sattel.
ce. Das Treten der Pedale.
Dieſes muß zuerſt in ruhiger, gleichmäßiger Weiſe geſchehen.
Die Beine müſſen beim Heruntertreten möglichſt ausgeſtre>t, die
Hacken nad unten gedrückt und ſo auswärts genommen werden,
aß die Füße ſich parallel mit dem Geſtell der Maſchine bewegen.
Das Treten muß einzig und allein mit den Beinen geſchehen, die
|
|
63
Hüften und der Oberkörper dürfen nicht in Mitleidenſchaft
gezogen werden.
d. Das Abſitzen vom laufenden Rade.
Daſſelbe geſchieht, indem der ſchnelle Lauf des Rades durch
langſames Treten oder Anziehen der Bremſe verringert wird.
Alsdann wird, mit dem Heruntertreten des linken Pedals und
einer leichten Neigung des Oberkörpers nac< vorn, das rechte
Bein über das Hinterrad nah der linken Seite deſſelben gehoben.
Der linke Fuß verläßt das Pedal.
3. Behandlung des Rades.
=
Das Rad verlangt eine ſorgfältige Behandlung und Auf-
bewahrung. Die Behandlung zerfällt in das Oelen des Rades
und die Reinigung.
Vor jeder Ausfahrt muß der Fahrer ſein Rad genau unter-
ſuchen, ſich überzeugen, daß alle Schrauben gut angezogen, vor
allen Dingen aber die Lenkſtange und die Pedale feſtgeſchraubt
ſind, die Räder in ihren Lagern nicht ſchlottern und die Kette
die richtige Spannung hat. Eine zu ſtraffe Spannung erfordert
mehr Triebkraft, eine zu loſe läßt die Kette leiht von den Rad-
zähnen abſpringen.
Ein Hauptaugenmerk iſt dem Oelen der Maſchine zuzu-
wenden. Das Oel muß rein und ſtaubfrei ſein, da ſchlechtes
Oel verharzt und die Reibung vergrößert. Vor der Fahrt ſind
zu blen:
Die. Lagex des Vorder-, Hinter- und Triebrades und die
Pedale. Empfehlenswerth iſt es, zuweilen die Lenkſtange und
Sattelſtange zu ölen, um ein Einroſten derſelben zu verhindern
und ein ſchnelleres Stellen zu ermöglichen.
Die Reinigung zerfällt in eine gewöhnliche, wie ſie nach
jedem Fahren ſtattfinden muß, und in eine außergewöhnliche
jährlich am Schluß der Fahrperiode.
Verwendung.
64
Die gewöhnliche Reinigung des Rades iſt eine äußerliche und
umfaßt das Reinigen des vorderen und hinteren Schußbleches
von angeſprißtem Staub und S<hmut, das äußerliche Reinigen
der Kette und das Abreiben der vernidelten Theile mit einem
gewöhnlichen Lappen.
Die außergewöhnliche Reinigung des Rades iſt eine innev-
liche, bedingt daher ein Auseinandernehmten deſſelben und darf nie
ohne Aufſicht eines Sachverſtändigen vorgenommen werden.
4. Ausbildung im Stredenfahren.
Man beginnt dieſes Fahren auf einer ebenen, guten Straße
zuerſt ohne Rückſicht auf die Geſchwindigkeit und dehnt es anfangs
auf 11/2 bis 2 Stunden aus, nad) und nach ſteigert man es aber
bis auf etwa 4 Stunden, indem hierbei ſchon zeitweiſe Gewicht
auf die Geſchwindigkeit gelegt werden muß. Jſt der Fahrer
dadur< genügend vorgebildet, ſo werden Zeitfahrten mit größerer
Geſchwindigkeit unternommen. Auch hierbei wählt man anfangs
gute, möglichſt ebene Straßen, ſpäter aber geht man auf ſolche
über, welche Steigungen und Fall haben, und iſt die Ausbildung
als eine zufriedenſtellende zu bezeihnen, wenn bei günſtiger
Witterung und guten Straßen 60 km in vier Stunden zurü>-
gelegt wurden.
Als Grundſatz muß feſtgehalten werden, daß die Verwendung
des Fahrrades ſeiner Konſtruktion entſprechend immer nur auf
die vorhandenen Straßen beſchränkt bleibt. Von dem Zuſtand
derſelben hängt lediglich auch die Leiſtungsfähigkeit des Rades ab.
Bei guten Wegen und auf längeren Stre>en iſt dex Radfahrer
dem Meldereiter überlegen. Weiche Straßen dagegen, naſſer
Straßenſ<mutz beeinfluſſen die Geſchwindigkeit und erfordern
mehr Kraftaufwand.
Steigungen verringern zwar die Schnelligkeit der Bewegung,
ohne jedoch die Verwendbarkeit zu beſchränken.
>. Ie
Bu
BEE
——— —n — + -
65
In der Dunkelheit vermindert ſich die Geſchwindigkeit nur
unweſentlich; dagegen iſt die Bewegung querfeldein im Großen und
Ganzen ſelbſt für kräftige und wohlgeübte Radfahrer nur auf
kurze Entfernungen möglich.
Jm Beſonderen werden die Radfahrer zwe>mäßige Ver-
wendung finden:
a. auf dem Marſche:
als Verbindungsleute zwiſchen den einzelnen Gliedern der
Marſchſiherung, zum Hexanholen dex Biwaksbedürfniſſe, zum
Bereitſtellen von Waſſer in den Ortſchaften u. ſ. w.;
b. bei den Vorpoſten:
an Stelle der Meldereiter zur Uebermittelung von Meldungen
und Befehlen zwiſchen den einzelnen Gliedern der Vorpoſten;
/ )
c. im Quartier:
zu jeder Art des Ordonnanzdienſtes zwiſchen allen Dienjt-
ſtellen, welche nicht dauernd über Kavallerie-Ordonnanzen verfügen
(Befehlsempfang, Abholen von Poſtſachen, Ueberbringen derQuartier-
billets u. ſ. w.),
zum ſtillen Alarm u. ſ. w.;
d. im Relais- und Etappendienſt:
zur Entlaſtung der ohnedies ſtark in Anſpruch genommenen
Kavallerie;
e. in den großen Feſtungen:
hier wird der Meldedienſt faſt gänzlich der Kavallerie abzu-
nehmen und den Radfahrern zu übertragen ſein.
Auch im Aufklärungsdienſt kann der Radfahrer ausnahms-
weiſe in beſchränktem Umfange Verwendung finden; jedoc< erſcheint
die Verwendung des Radfahrers im Gefecht ausgeſchloſſen.
Frhr. v. Puttkamer, Das Radfahren. 5
66
Bekleidung und Anzug, Ausrüſtung und Bewaffnung der Radfahrer werden
| en zwecdmäßig zu beſtehen haben in:
Schirmmüge,
Waffenro> oder Litewka,
Tuchhoſe,
langen Sc<nürſtiefeln (ohne Nagelbeſchlag),
Mantel,
Feldflaſche,
Brotbeutel,
ZTornifterbeutel,
Leibriemen mit Meldetaſche,
Seitengewehr (auf der Lenkſtange),
Revolver.
Der Torniſter wird gefahren. An Stelle deſſelben tritt
während des Marſches (neben dem Torniſterbeutel) die Gepäck-
taſhe (am Fahrrad), welche jedo< nur für einen Drillihanzug
| E bezw. Litewka und Tuchhoſe, ein Hemd, ein Paar Strümpfe, ein
Paar Schuhe und eine Konſervenbüchſe Pla gewährt.
Gedrudt in der Königlichen Hoſbuchdruckerei vou E. S. Mittlex & Sohn,
Berlin 8W., Kochſtraße 68--70.
Y
8|
N 8
en ms
RER
Das Radfahren, Freiherr von Puttkamer, Berlin 1894
- Von
- 1894
- Seiten
- 76
- Art
- Buch
- Land
- Deutschland
- Marke
- Ernst Siegfried Wittler und Sohn
- Quelle
- Karl-Friedrichs Marks
- Hinzugefügt am
- 28.02.2020
- Schlagworte
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