Vorschau (2,48 MiB)
Geschichte
der
Kugel-, Walzen- und Rollen-
Schweinfurter Präcisions-Kugellager-Werke
Fichtel & Sachs, Schweinfurt a.M.
Vorwort.
Die Veranlassung zu dieser Arbeit gab Herr Kommerzienrat
Ernst Sachs durch seinen im Jahre 1909 im Polytechnischen Verein
in München gehaltenen Vortrag über Kugellager, in dem er in
kurzen Zügen auch die Entwicklung streifte. In vorliegender Schrift
haben wir nun unter Mitwirkung des Historikers der Technik
Ingenieur Franz M. Feldhaus, Friedenau-Berlin, die Geschichte
und Entwicklung der Kugellager eingehend behandelt.
Neuerungen werden in der Technik nicht ohne eine gewisse
Berechtigung misstrauisch angesehen. So ging und geht es leider
heute noch den vermeintlich „neuen Walzen- und Kugellagern“.
Aus der hier vorliegenden geschichtlichen Studie geht hervor,
dass man schon seit Jahrhunderten im Maschinenbau die Her-
stellung von Rollen-, Walzen- und Kugellagern angestrebt hat
Bezüglich des fremd anmutenden Ausdrucks „Walzenlager“
sei hier darauf hingewiesen, dass es heute unbedingt nötig ist,
zwischen dieser Ärt und den Rollenlagern zu unterscheiden; denn
bei der einen Lagerart tritt nur eine rollende, bei der anderen
aber auch eine gleitende Reibung auf. Wir müssen die auf lose
laufenden Walzen gelagerten Wellen hinfort also nicht mehr
Rollenlager sondern Walzenlager nennen.
Schweinfurt, April 1914.
Schweinfurter
Präcisions-Kugel-Lager-Werke
Fichtel & Sachs.
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s ist ein weit verbreiteter Irrtum, erst unsere Zeit
habe den Maschinenbau begründet. Schon die
Urzeit, die die Verarbeitung der Metalle noch
y nicht kannte, hatte ihre Maschinen. Etwa um die
Mitte des 4. Jahrtausends vor Christus ver-
wendete man in Mitteleuropa bereits eine Pendel-
säge zum Zerteilen der Steine und eine rotierende
Bohrmaschine zum Herstellen der Löcher in Steinäxten, Spinn-
wirteln usw. (1). Wir kennen sogar von dieser Bohrmaschine
die Art der Spindellagerung: Die Spindel lief in einem Körner und
einer Pfanne aus hartem Hirschhorn. Man sieht daraus, wie pfiffig
der Mensch von jeher war, wenn es galt, seine eigene Körperkraft
zu sparen; denn das Durchbohren eines Steines auf einer neoli-
tischen Bohrmaschine erforderte, trotz der Verwendung von Kron-
bohrern, viele Stunden mühseliger Arbeit; auf seine eigene Körper-
kraft war der Mensch in der vorgeschichtlichen Zeit bei allen Ar-
beiten aber allein angewiesen. Ganz vereinzelt mag man damals
das Rindvieh als Zugtier verwendet haben. Wir wissen das aus
Funden hölzerner Joche in Schweizer Pfahlbauten. Erst in der Metall-
zeit finden wir Spuren des Pferdes als Zugtier (2).
Das Fortschleppen einer Last erleichterte sich der Mensch
durch die Erfindung der Walze zu einer Zeit, wo er die Kräfte der
Zugtiere noch nicht auszunutzen verstand. Die Ausbildung der Walze
zur Rolle und zum Wagenrad erfolgte wahrscheinlich auch noch
in einer Frühzeit, da der Mensch Ochsen und Pferde als Haustiere
nicht kannte. Unsere ältesten Kenntnisse von Wagenrädern gehen
bis vor die Metallzeit zurück (3). Zu Anfang der Metallzeit, also um
1900 vor Christus finden wir neben dem hölzernen Wagenrad
schon das mehrspeichige Rad aus Metall. Es ist durchweg mit
einer sehr langen, zur sicheren Lagerung dienenden Nabe ver-
sehen. Neben den Wagen ist aber bis auf unsere Tage die ältere
Form des Transportgerätes, die Schleife, noch nicht ganz ver-
schwunden. In manchen ländlichen Gegenden spart man sich noch
heute die kostspieligen Räder an allen Geräten, die nur selten
transportiert werden. Man setzt sie der Ersparnis halber nur auf
Schleifkufen. In dieser Sparsamkeit ging man in früheren Jahr-
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hunderten so weit, dass man z.B. die selten benutzten grossen
Feuerspritzen nur auf Kufengestellen baute. Augsburg war die
erste Stadt, die im Jahre 1518 eine auf Rädern stehende Feuer-
spritze anschaffte (1).
Kam man mit einer Schleife nicht recht vorwärts, so impro-
visierte man sie durch Unterlage von Walzen zu einem Wagen.
Aus ägyptischen und babylonischen Reliefs wissen wir, dass die
Unterlage von Walzen beim Transport schwerer Lasten allgemein
üblich war. So sehen wir auf einem der grossenReliefs von Ninive,
die etwa aus dem Jahre 680 vor Christus stammen, wie man die
grossen Steinblöcke für Denkmäler auf Schleifen und Walzen
weiter schaffte (Abb. 1). Wir erkennen deutlich, wie Sklaven die
runden Hölzer hinter der Schleife wegnehmen und, angetrieben
von ihren Aufsehern, in langem Zuge wieder nach vorn tragen,
um sie dort vor der Schleife auszulegen. Dass jene Zeit zum Trans-
port geringerer Lasten das Wagenrad schon kannte, ersehen wir
aus der gleichzeitigen Darstellung von Wagen, die Seile und Rüst-
balken herbeiführen (4).
Das Altertum bediente sich zur Fortschaffung der Lasten, zur
Bewegung seiner Mühlen der Sklaven. Kein Konstrukteur brauchte
sich den Kopf zu zerbrechen, um für diese lebenden Motore Kraft
zu ersparen. Ja, die geringe Entwicklung der Betriebsmaschinen
im Altertum lässt sich aus der Menge der vorhandenen Sklaven
recht wohl erklären. Nur vereinzelt finden wir dort Wasserräder
und Tiergöpel zum Betrieb von Maschinen Diese Anlagen waren
aber bis ins Mittelalter hinauf immer sehr klein und niemand
nahm sich die Mühe, in den Lagerungen dieser Maschinen an
Kraft zu sparen. Für gewöhnlich lief Holz auf Holz. Es mag wohl
sein, dass einzelne die allzu schnell ausgeleierten Lager mit Stein-
oder Metalleinlagen versahen und auch auf die Schmierung einige
Sorgfalt verwandten; in den uns erhaltenen Texten und Abbild-
ungen ist von solcher Sorgfalt nicht die Rede. Erst bei den
Kriegstechnikern des ausgehenden Mittelalters finden wir ver-
einzelte Hinweise auf eine sorgfältige Durchbildung der Lager-
stellen. So sehen wir in einer Handschrift aus der Zeit der
Hussitenkriege ums Jahr 1430, dass die hölzernen Wellen von
Mühlen, Göpeln, Kransäulen usw. in eisernen Lagerzapfen enden.
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Bei unserer dritten Abbildung, einer kleinen Handmühle, deren
gekröpfte Welle ganz aus Eisen besteht, vermerkt der Ver-
fasser (6): Item, wer die Mühle machen will, soll zwei Eisen-
schienen nehmen und soll machen die Form des Eisens, wie
sie da gemalt ist. Oben soll (die Achse) ihr Haupt (zur Auf-
nahme des Mühlsteines haben), und unten soll sie stählern
sein. Die Sohle, wo das Eisen darin geht, soll auch stählern
sein... ..“ Wir haben also hier eine sorgfältige Lagerung von
stählernen Zapfen in stählernen Pfannen.
Der erste, der sich eingehend mit Versuchen über die Reib-
ung beschäftigte, und nicht allein die gleitende Reibung, sondern
auch die drehende (Zapfen-JReibung untersuchte, war der als
Künstler weit berühmte Leonardo da Vinci. Unter den tausenden
hinterlassenen Notizen dieses grossen Mannes kennen wir seine
auf mathematischer Grundlage beruhenden Anschauungen über
die Reibung (7). Leonardo nimmt den Reibungskoeffizienten
gleich 0,25 an. Es kann sich also nur um Reibungen von Holz
auf Holz oder Metall auf Metall bei mangelhafter Schmierung
handeln. Leonardo unterscheidet nicht nur zwischen der Reib-
ung fester und flüssiger Körper, sondern auch zwischen gleitender
und rollender Reibung. Er sagt (8): „Die Reibung der Körper
teilt sich in zwei Hauptklassen: Flüssigkeit mit Flüssigkeit und
feste Körper mit festen Körpern. Aus diesen wird eine dritte Klasse
erzeugt, welche aus beiden entsteht oder zusammengesetzt ist,
d.h. es kann sich eine Flüssigkeit auf einem festen Körper oder
ein fester Körper auf einer Flüssigkeit reiben, und zwar ge-
schmeidig. Auch gibt es’eine vierte Reibung, wie zwischen dem
Rad eines Wagens und der Erde, auf der es sich bewegt. Dieses
reibt nicht, sondern berührt, und man kann von einem Fort-
schreiten mit unendlich kleinen Schritten reden.“ Leonardo em-
pfiehlt das Polieren der Reibflächen (9): „Die Reibung eines po-
lierten, ebenen Körpers widersteht dem Motor mit einer Kraft
gleich dem vierten Teil seines Gewichtes.“ Es ist auffallend,
dass Leonardo zu keinem günstigeren Verhältnis kam. Er unter-
suchte im Verfolg dieser Betrachtung den Einfluss, den die Neigung
einer schiefen Ebene auf die Veränderung der Reibung ausübt.
Erkommt dabei auf die Festlegung des Begriffes „Reibungswinkel“.
10
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Eingehend untersuchte Leonardo die Frage, welches Ge wicht
an eine Welle anzugreifen habe, um den Reibungswiderstand in
den Wellenlagern zu überwinden. Es ist sehr auffallend, dass
Leonardo hierbei keine algebraischen Gleichungen zu verwenden
sucht. Es ist nicht wahrscheinlich, dass ihm die dieses Thema
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Abb. 3.
Handmühle mit stählernen Lagern und Zapfen, um 1430.
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behandelnden Schriften des Jordanus Nemorarius vom Jahre 1220
und von Luca Paciuoli von 1487 (Druckausgabe 1494) unbekannt
geblieben sind; denn mit dem Verfasser der letztgenannten
Schrift war Leonardo befreundet und wohnte zeitweise mit ihm
zusammen.
Aus jenen Betrachtungen heraus kommt Leonardo da Vinci
zu seinen „Drehzapfen höchster Vollkommenheit“. Er versteht dar-
unter Äntifriktionsrollen (10). Leonardo sagt von dieser neuartigen
Lagerung: „Sie dienen zu schwingenden Bewegungen, wie für
Glocken, Sägen und Dinge ähnlicher Art“ (10). Um die Wirkung
der Antifriktionsrollen zu untersuchen, legte Leonardo bis 12 Rollen
in der Weise aufeinander, dass die Achse der oberen Rolle auf
dem Rollenumfang der darunter liegenden aufruht. Wenn er den
Durchmesser einer jeden Rolle gleich 10, den Durchmesser der
zugehörigen Achse aber gleich 1 nimmt, so resultieren ihm aus
der an der obersten Rolle angreifenden Kraft schliesslich an der
untersten Rolle eine Milliarde. Leonardo sagt: „Und wenn das
erste, obere Radhunderttausend Millionen Umdrehungen ausführt,
macht das unterste nur eine volle Umdrehung. Dies sind Wunder
der Kunst des mechanischen Genies. Auf diese Weise setzt man
eine Glocke auf ihre Zapfen, die von einem leichten Winde ge-
läutet werden wird, wenn sie vom Zentrum gleich weit abstehende,
gleiche Gewichte hat (d. h. wenn die Achse nahe unter ihrem
Schwerpunkt durchgeht).“ Leonardo sieht auch ein, dass es
keinen Zweck hat, viele einzelne Friktionsscheiben übereinander
aufzubauen (12): „Bei so gelagerten Zapfen ist es zwar richtig,
dass das Gewicht auf verschiedene Zapfen verteilt wird, aber wer
alle diese verminderten und geteilten Gewichte addiert, wird den-
selben Widerstand finden (als wenn er weniger Friktionsrollen
hätte). Es ist gerade so, wie wenn ein Pfund in 12 Unzen geteilt
wird, die, wieder vereinigt, gerade wieder ein Pfund ergeben.“
An einer andern Stelle (13) sagt Leonardo: „Diese Anordnung (auf
Antifriktionsrollen) gibt der Kreisbewegung eine solche Dauer,
dass es wunderbar und übernatürlich erscheint, denn es werden
nach Aufhören der Bewegung des Motors noch viele Umdreh-
ungen gemacht.“ Besonders verwendet Leonardo Antifriktions-
rollen zur Lagerung von sogenannten archimedischen Schnecken
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zur Wasserförderung. Er unterstützt dabei nicht nur den oberen
und den unteren Lagerzapfen durch Rollen, sondern verhindert
auch die Durchbiegung der langen Schnecke durch Unterstützung
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Abb. 4.
Antifriktionsrollen von Leonardo da Vinci, um 1500.
mittels Rollen. Diese Art sehen wir auch an einem Walzwerk für
Bleiplatten, das Leonardo in einem der Pariser Manuskripte
skizziert (Abb. 6.) Hier wird die Oberwalze durch eine kleine Rolle
in der Mitte gestützt, damit jene sich nicht durchbiegen kann:
„Eine Art, eine dünne und gleichmässige Platte aus Zinn herzu-
stellen. Diese (Walzen) sollen aus Glockenmetall gefertigt sein,
damit sie härter sind, und man versehe sie mit eisernen Achsen,
damit sie sich nicht verbiegen. Indem auf diese Weise eine Walze
die andere umdreht, strecken sie eine Platte aus, die ungefähr
eine halbe Elle breit ist.“ Leider erschien von dem gesamten
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urnfangreichen Wissen dieses grossen Ingenieurs jahrhundertelang
nichts im Druck. So gingen nicht nur diese interessanten Aus-
führungen über die Vermeidung der Reibung in Lagern, sondern
auch zahlreiche andere grosszügige Konstruktionsideen dieses
Universalgenies für die Praxis verloren.
In dem ersten von einem deutschen Maschinenbauer ge-
schriebenen Fachwerk finden wir aber schon im Jahre 1556 eine
interessante Nachricht über die Verwendung eines Antifriktions-
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Abb. 5. Lagerbock mit Rollen von Leonardo.
lagers. Der Verfasser dieses Werks, das im ersten Jahre seines
Erscheinens bereits drei verschiedene Auflagen erlebte, war Georg
Agricola, seines Standes ursprünglich Mediziner (14). Agricola
beschreibt eine Antriebsvorrichtung für eine Schöpfeimerkette.
Er weist dann darauf hin, dass man das hierzu nötige Ma-
schinengestelle ganz aus eisernem Gitterwerk machen soll. Die
gleichfalls aus Eisen gefertigten Achsen sollen sich in Lagern
drehen, in denen „breite, eiserne, stahlharte Ringe“ liegen. Die
Hauptachse aber, die das ganze Gewicht der in die Tiefe hinab-
gehenden Schöpfeimerkette zu tragen hat, „dreht sich in eisernen
Haken auf Rollen von Stahl“. Wie dieser U-förmige Haken, d.h.
der Lagerbock, aussieht, und wie die Stahlrolle darin eingebaut
ist, zeigt Ägricola in einem nebenstehenden Holzschnitt (Abb. 7).
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Auch noch an einer andern Stelle, nämlich bei der Be-
schreibung eines Fallhammers (15) erwähnt Agricola die Ver-
wendung von Antifriktionsrollen. Der Fallhammer wird nämlich
durch zwei Daumen gehoben, die an der Wasserradwelle sitzen.
Jeder Daumen ist mit einer aus Bronze gefertigten, 7,5 cm dicken
Rolle versehen, damit beim Emporheben des Bärs eine möglichst
geringe Reibung stattfindet.
Abb. 6.
Gegendruck-Rolle an einem Walzwerk von Leonardo.
Im Jahre 1588 erschien zu Paris ein grossartig ausgestattetes
Werk über den Maschinenbau. Es hat den Königlichen Ingenieur
Agostino Ramelli zum Verfasser. Auf den 195 prächtigen Kupfer-
stichen diesesBuchessiehtman mehrereMaleRollenlagerungen (16).
Auf der siebenundzwanzigsten Tafel sieht man bei Ramelli ein
Pumpengestänge in Rollenlagern geführt. Man kann in vier ver-
schiedenen Etagen übereinander an Hand unserer 8. Abbildung
insgesamt 14 Rollen zur Aufnahme des Seitendruckes des Ge-
stänges zählen. Ramelli war der erste grosse Kinematiker und er
geht deshalb aus Liebhaberei zur Kinematik von praktisch kon-
struktiven Gesichtspunkten oft etwas weit weg. Auf der achtund-
siebenzigsten Kupfertafel zeigt Ramelli einen Ziehbrunnen, der
dadurch in Bewegung gesetzt wird, dass man den am Brunnen-
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Abb. 9.
Rollenkranz an einem Brunnen von Ramelli, 1588.
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Abb. 10.
Rollenkranz an einer Windmühle von Ramelli, 1588.
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die Mühle einigermassen gross war, ein erheblicher Kraftaufwand
notwendig. Wir sehen deshalb das Mühldach auf Rollen laufend.
Die Rollen sitzen in einem grossen hölzernen Kranz, unter dem
ein zweiter Holzkranz liegt, worauf sich die Rollen bewegen.
Abb. 11.
Rollenlager für eine Brunnenwinde von Ramelli, 1588.
Auf der sechsundsiebenzigsten Tafel finden wir bei Ramelli die
Achse einer Brunnenwinde auf Antifriktionsrollen gelagert (Abb. 11).
Welch grosse Bedeutung den Reibungswiderständen zu-
komme, zeigte der Oeffentlichkeit zuerst der Pariser Architekt
Guillaume Amontons im Jahre 1699 in einer in den Abhand-
lungen der Pariser Akademie der Wissenschaften erschienenen
Arbeit. Amontons beschäftigte sich aber nur mit der gleitenden
Reibung (18). Erst sein grosser Zeitgenosse Gottfried Wilhelm
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von Leibniz unterschied im Jahre 1710 zwischen gleitender und
rollender Reibung. Genau gesagt, spricht Leibniz von schieben-
der (superincessus radens) und wälzender (superincessus volvens)
Reibung. Die Abhandlung von Leibniz über diesen Gegenstand
erschien in den Abhandlungen der Berliner Akademie (19).
Als das englische Parlament im Jahre 1714 drei Preise von
1000 bis 2000 Pfund Sterling für den ausgesetzt hatte, dem es
Abb. 12.
Rollenlager an der Unruhe einer Seeuhr von Sully, 1716.
gelänge, eine Uhr zu bauen, die die geographische Länge auf
See mit einer Genauigkeit von 1 bis !/s Grad abzulesen gestatte,
gingen mehrere Mechaniker an diese Aufgabe. Unter ihnen ge-
lang es Henry Sully, eine solche Uhr von grosser Genauigkeit zu
bauen. Ehe die Versuche abgeschlossen waren, starb Sully. Seine
Seeuhr hatte, wie wir aus ihrer Beschreibung (20) sehen (Abb. 12),
an den Lagerstellen der Unruhe je vier, die Achse ganz um-
schliessende Antifriktionsrollen. Man nennt Sully deshalb meist
den Erfinder der Antifriktionsrollen. Da wir hier solche Lager
aus weit früherer Zeit kennen lernten, müssen wir Sully als
den Erfinder derselben fallen lassen. Das in den Jahren 1724
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21
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bis 1727 in mehreren Bänden erschienene Maschinenbuch von
Jakob Leupold berücksichtigt schon die von Leibniz gegebenen
Lehren. Wir finden dort (Bd. 3, Taf. 19) auch einige Hinweise
auf Rollenlagerungen, z. B. an einem kleinen Windrad, dessen
Achse zur freien Durchlassung einer zweiten Achse hohl und von
sehr grossem Durchmesser sein muss. Um die Reibung für die
grosse, hohle Achse möglichst zu vermeiden, legt Leupold sie
zwischen Rollen.
Im Jahre 1710 legte de Mondran der Pariser Akademie
der Wissenschaften ein Projekt zu einem Wagen vor, bei dem
die Räder auf Antifriktionsscheiben laufen. Diese — ja gar
nicht mehr neue — Lagerart soll nach Angabe des de Mondran
auch bei Maschinen angewandt werden, um die Reibung zu
vermeiden. Die Akademie hiess das Projekt gut (21).
In dem grossen holländischen Werk über den Mühlenbau
von Natus, Polly und van Vouren, das 1734 bis 1736 zu
Amsterdam erschien (22), ist auch gezeigt, wie man Walzen-
lager im Maschinenbau verwenden soll. Unsere 13. Abbildung
zeigt die Hälfte des bei den Holländern damals zur Lagerung
des drehbaren Windmühlendaches zur Verwendung kommenden
„Rolringhs“. Dieser Ring ist als Walzenkäfig aufzufassen. Er
liegt lose zwischen einem Ober- und einem Unterring. Auch zur
Lagerung von Schleusentoren geben die Holländer einen beachtens-
werten Wink. Sie versehen die hölzernen Zapfen der Tore unten
mit einem schweren metallenen Schuh, der als Kugelkalotte aus-
gebildet ist. Dieser Schuh steckt in einer metallenen Lager-
schale, die gleichfalls eine konvexe Lauffläche hat.
Ein Walzenlager aus dem Jahre 1794 fand man 1909 in
Nordamerika auf. Es ist wohl das älteste Walzenlager der
Praxis. Die Old Trinity Church zu Lancaster (Pa.) trägt eine
grosse Windfahne von 170 kg Gewicht. Als man sie bei Reno-
vierungsarbeiten 1909 herunternahm, fand man, dass sie auf
einem Walzenspurlager mit Käfig lief. 115 Jahre lang hatte
dieses Lager ohne jemals geschmiert zu werden, seinen Dienst
verrichtet. Der Käfig bestand aus zwei kupfernen Ringen von 16,2
mal 16,7 mm Querschnitt. In dem Käfig lagen sechs bronzene
Walzen, die ein wenig ballig gedreht waren. Ursprünglich
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hatten diese Walzen einen Durchmesser von etwa 30 mm. Als
man sie fand, waren sie bis auf etwa 19 mm abgenutzt. Jede
Walze drehte sich um einen 10 mm starken Laufbolzen aus
Messing in den Käfigringen. Als Laufringe für die Walzen
dienten zwei Bronzeteller von 140 mm Aussendurchmesser.
Glaubwürdige Angaben über den Erbauer dieses Lagers waren
nicht aufzufinden. Während einige diese Konstruktion dem
Robert Fulton zuschreiben, nennen andere Leman of Riffle Fame,
wieder andere den Graveur Getz, der den ersten Washington-Peny
und das grosse Siegel der Vereinigten Staaten gravierte. Das
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Abb. 14.
Kugellager mit Rille und Einfüllöffnung, 1794.
alte Originallager bewahrt man jetzt sorgsam auf. Die Wind-
fahne setzte man aber auf ein neues, ähnliches Lager.
Im Jahre 1795 soll der französischen Artilleriekommission
bereits ein Wagen zur Prüfung vorgeführt worden sein, dessen
Achsenlager als Rollenlager ausgebildet waren (23). Ein Beweis
für diese Behauptung liess sich in den damaligen französischen
Patentschriften nicht finden.
Im Gegensatz zu diesen alten Rollen- und Walzenlagern
finden sich die Kugellager erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts.
E. Sachs machte vor einigen Jahren in einem Vortrag (24) auf
das älteste Kugellager aufmerksam. Es wurde unter Nr. 2006
am 12. August 1794 in England einem Manne namens
Philip Vaughan als „Achsen für leichte und schwere Wagen-
räder“ patentiert. Zu der hier in Abb. 14 wiedergegebenen
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Zeichnung sagt der Erfinder: „Bei dieser Erfindung ist jeder
Arm der Wagenachse mit zwei Nuten versehen, eine von ihnen
liegt nahe dem Ende des Armes, die andere in derselben Ent-
fernung davon. Jene Nuten sind zur Aufnahme von Kugeln
gemacht, die als Antifriktions-Rollen dienen. Die Nabe eines
jeden Rades ist mit zwei zu jenen in dem Achsenarm korrespon-
dierenden Nuten versehen, sodass diese Nuten die Kugeln in
dem Achsarm teilweise umschliessen. Um es zu ermöglichen,
dass die Kugeln in die Nabe und den Achsarm ein- und aus-
getan werden, sind Gusstücke mit Schwalbenschwanz gemacht,
die Teile der Peripherie der Nabe und des Kugelgehäuses
bilden.“
Dieses Patent ist deshalb beachtenswert, weil der Erfinder
bereits das Gehäuse vollständig geschlossen baut und die Kugeln
durch eine Einfüllöffnung in die Rille einbringt. Er kommt dabei
dem Prinzip der Ringlager nahe.
Auch in Frankreich findet sich das Kugellager früh patentiert
und zwar als Spurlager. Das Patent wurde am 8. Juni 1802 unter
Nr. 263 an einen gewissen Cardinet erteilt. Der Erfinder bean-
sprucht sein Patent auf ein mechanisches Karussell, das durch
die Fussbewegungen der auf den Holzpferden sitzenden Personen
gedreht wird. Ueber diesen Hauptgedanken dieses Patentes geht
der Erfinder aber schnell hinweg, und er beschäftigt sich ein-
gehend mit der Lagerung der vertikalen Welle des Karussells,
also mit der Lagerung des sogenannten Kaiserbaums. Der Kaiser-
baum ist hohl und wird von einer starken Eisenachse E (Abb. 15)
durchsetzt. Die Maschine ruht nun, wie die Patentschrift sagt,
„auf sechs kleinen Walzen L“ (siehe Fig. 7—8 der nebenstehenden
Zeichnung der Patentschrift). „Diese Walzen haben die Form
eines abgestumpften Kegels und lagern mit ihren Drehzapfen
in einer Kupferplatte M; dieselben sind so angebracht, dass die
Spitze jedes abgestumpften Kegels mit dem Zentrum der Achse
der grossen Welle zusammenfällt. Die Walzen L haben das
ganze Gewicht der Maschine sowie der (auf dem Karussell) spie-
lenden Personen zu tragen. Sie rollen zwischen zwei andern
Platten N aus Eisen oder Stahl, deren Oberflächen parallel zur
Oberfläche der Rollen geneigt sind.“ „Es folgt, fährt der Autor
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fort, aus der Form, der Anordnung, sowie der Aufeinanderfolge
dieser Walzen, dass diese Maschine in ihrer Bewegung nur sehr
wenig Reibung hat; dass sie keinen Widerstand zu überwinden
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Abb. 15.
Kugel- und Walzenlager mit Käfigen, von 1802.
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Karussells) verdrängen muss... .. fs
„Die in Fig. 9 und 10 gezeichnete Platte kann die An-
ordnung in Fig. 7 ersetzen. Die Kugeln O erfüllen den Zweck
der konischen Walzen L. Sie werden ebenso zwischen zwei
Platten P angebracht, zwischen denen sie in einer kreisförmigen
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Nute rollen. Diese geht ungefähr 2 mm tief in den korrespon-
dierenden Teil der oberen Platte, damit, wenn die Kugeln in
diesen Raum gelangen, sie vollständig frei sind. Sie kommen
zu gleicher Zeit von den Federn R los, auf die sie durch eine
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Abb. 16.
Kugellager an Kransäule, von 1818. Nach Matschoss.
unmerkliche Unregelmässigkeit im Gang einen Druck ausüben
könnten. Dieser Druck kann in diesem Falle von gar keiner
Bedeutung sein, aber ohne dieses freie Spiel der Rollen, das
bei jeder Umdrehung eintritt, würde er auf die Dauer unfehlbar
sehr bedeutend werden. Der Buchstabe S bedeutet in Fig. 10
einen Rollenkranz, den man bei Fig. 11 in der Änsicht sieht.
Es gibt deren zwei Stück, die sich an den Enden der grossen
Welle befinden. Sie haben den Zweck, die Reibung aufzuheben,
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die aus dem Gewichtsunterschied der Karussellfahrer resul-
tieren würde.“
Wir haben hier also ein Walzenlager und ein Kugellager
mit Käfigen vor uns. Im Jahre 1803 wird bei uns in Deutsch-
land kurz und dazu recht unverständlich auf diese Verbesserung
der französischen Lager hingewiesen (25). Man hat in Deutsch-
land von der Erfindung der Franzosen auch alsbald Gebrauch
gemacht. Der sächsische Kunstmeister Christian Friedrich Brendel
entwarf im Mai 1818 eine „Durchschnittszeichnung von einer
Abb. 17.
Wagen auf Walzenkette, 1821.
hohlen Göpelwelle mit feststehender Spindel zum Gebrauch bei
der Königl. Porzellan-Manufaktur Meissen“. Das Original dieser
Zeichnung (Abb. 16) befindet sich jetzt im Deutschen Museum
zu München. Dass es sich hier nicht um die erste Konstruktion
dieser Art handelt(26), haben wir aus dem Vorhergesagten gesehen.
Wie weit man damals auf der Suche nach reibungslosen
Lagern von der Praxis abwich, zeigen uns in ergötzlicher Weise
die französischen Patente Nr. 1180 vom 29. Mai 1821 und Nr. 1006
vom 16. März 1822, an Dentillot und Jesse Bridgman erteilt.
Die Erfinder nehmen die Räder unter dem Wagen ganz weg und
hängen sie mit ihren Achsen zwischen zwei parallel laufende
endlose Ketten. Sie brauchten zu einem Wagen infolgedessen
nicht nur zwei Paar Räder, sondern sieben bis acht Paar. Be-
trachten wir das Patent von Bridgman einmal näher: An jedem
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28
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Rad bringt der Erfinder einen kleinen Laufkranz an. Auf diesen
Laufkränzen liegen zwei unter dem Wagen hergehende lange
Schienen auf. Wenn sich der Wagen in Bewegung setzt, gleiten
die Räderpaare, an den endlosen Ketten geführt, unter dem
Wagen her. Am Ende der Leitschiene angekommen, gehen die
Ketten mit den Rädern in die Höhe und laufen oben durch die
Luft hindurch wieder in den Vorderteil des Wagens zurück, um
dort von neuem unter dem Wagen nach hinten zu gleiten. Die
gleitende Reibung in den Achsenlagern ist von dem Erfinder
Abb. 18.
Möbelrolle mit Kugelspurlager, 1820.
auf diese Weise zwar vermieden. Die Ausführung der ganzen
Idee ist aber praktisch unmöglich. Insbesondere könnte dieses
merkwürdige Fahrzeug ja nur immer geradeaus fahren.
Entgegen dieser Phantasie finden wir in der obigen Ab-
bildung bereits eine recht brauchbare Konstruktion zur Vermeid-
ung der Reibung in Möbelrollen. Wie wir sehen, legt der Er-
finder vier durch einen Käfig auseinander gehaltene Rollen rings
um den senkrechten Zapfen. Infolgedessen wendet sich die
Möbelrolle leicht und wird den Fussboden oder den Teppich
nicht verderben. Der Erfinder, ein Messinggiesser namens James
Harcourt in Birmingham, erhielt auf diese Möbelrollen mit
Kugel-Spurlagern am 21. Juni 1820 das englische Patent Nr. 4481.
Eine einzelne Kugel wurde schon am 22. November 1821
dem Mechaniker Collinge zu Lambeth in der Grafschaft Surrey
D=
29
so
als Lager in Türangeln patentiert. Dieses englische Kugelpatent
für Türen wurde 1824 auch in Deutschland bekannt (27).
In England nahm am 27. September 1822 ein gewisser
John Whitcher in Verbindung mit Mathew Pickford und
James Whitbourn ein Patent auf ein „Arrangement von Ahti-
friktionswalzen“. Diese erste englische Patentbeschreibung eines
Walzenlagers ist eingehend gehalten. Ein schmaler Ring, der
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2
2
Abb. 19.
Walzenlager, 1822.
als Käfig anzusehen ist, trägt fünf Satz schmale, genutete
Walzen (s. Abb. 19).
In Oesterreich nahm der Domänen -Waldmeister Joseph
Ressel in Triest, bekannt durch seine mühseligen Versuche zur
Einführung der Schiffsschraube, anscheinend das erste Patent auf
Rollen- und Kugellager, um „die Reibung der Maschinen-Zapfen
und Wagenachsen beinahe auf Null zu reduzieren, und jede
Schmiere entbehrlich zu machen“. Letztere Bemerkung Ressels
zeigt, welche grosse Hoffnung man damals auf Walzen- und
mm === ®©8
30
mmm
Kugellager setzte. Das
Privileg wurde am 9. März
1829 für Ressel auf ein
Jahr eingetragen.
Man liest allgemein,
dass „auf der Sayner
Hütte in der Nähe von
Neuwied seit dem Jahre
1845 Krane mit Kugel-
lagern“ in Betrieb seien.
Die Kruppsche Verwalt-
ung der Sayner Hütte
hatte die Liebenswürdig-
keit, zu der vorliegenden
Arbeit die Originalzeich-
nung jener Krane zur
Verfügung zu stellen.
Das arg vergilbte Blatt
ist mit zwei Revisions-
unterschriften versehen.
Die eine datiert von
Königsborn den 22. Juni
1841, die andere von Ber-
lin den 16. August 1841.
Der Konstrukteur dieser
Krane war der damalige
Bergrat Carl Ludwig Alt-
hans. Aus der Zeichnung
(siehe Abb. 20) geht
aber hervor, dass die
Krane nicht auf Kugel-
lagern laufen. Von zwei
Rollen wird bei der
Drehung des Kranes um
seine Mittelsäule unten
der Druck und oben
der Zug aufgenommen.
Abb. 20. Kran-Arm mit Rollenlager, 1841.
D=
31
emmm
Wie die Verwaltung der Sayner Hütte schreibt, haben sich die
Krane bis heute im Betrieb gut bewährt. Uebrigens war die Idee
damals nicht einmal neu; denn schon am 31. Januar 1824 liess
sich der Pariser Mechaniker Joseph Vachier ein französisches
Patent unter Nr. 1215 eintragen, das sich auf einen Säulenkran
bezog, bei dem der auf die Säule ausgeübte Druck und Zug
des Auslegers von Kupferrollen aufgenommen wurde, die auf
eisernen Ringen liefen.
Abb. 21.
Kombiniertes Rollen- und Kugellager, 1853.
Am 12. Juni 1835 reichte der Maschinenbauer Staubes aus
Elberfeld ein Patentgesuch an die preussische Regierung. Er
hatte ein Walzenlager erfunden, das aus einem messingenen
Käfig bestand, der zwischen Eisenstäben kleine Zylinder aus ge-
härtetem Eisen hielt. Die preussische Regierung gab das Gesuch
des Staubes an die Technische Deputation für Gewerbe zur Be-
gutachtung weiter. Sonderbarerweise entschied die Deputation:
„Die Zylinder aus gehärtetem Eisen werden durch den erwähnten
messingenen Kranz fortwährend an denselben Stellen erhalten,
während sie sich gleichzeitig mit dem sie berührenden Zapfen
um ihre Axen drehen, und dadurch die Reibung, wie der Bitt-
SOSSE [aan
32
[uni
steller hofft, um die Hälfte vermindern sollen. Wir können diese
Meinung nicht teilen, sondern müssen vielmehr die Ueberzeug-
ung aussprechen, dass die kleinen Walzen sich sehr bald so
fest einschleifen werden, dass sie dadurch alle Beweglichkeit
verlieren“. Infolge dieses Bescheides wurde dieses Patentgesuch
vom Minister abgewiesen (33).
Weit verbreitet ist die Behauptung, der Baron von Ru-
dorffer habe im Jahre 1847 auf der bayerischen Staatseisenbahn
Versuche mit Rollenlagern angestellt. Eingehende Nachforsch-
ungen der Generaldirektion der bayerischen Staatseisenbahn
Abb. 22.
Kugellager von 1853.
führten zu keinem Ergebnis. Die einschlägige Fachliteratur jener
Zeit kennt einen Herrn Rudorffer überhaupt nicht. Reuleaux
sagte darüber in einem Vortrag vom 6. Dezember 1897 (28):
„Es waren sechs Rollen, die sehr nahe die Zapfendicke zum
Durchmesser hatten, um die Zapfen herumgelegt, die in einem
hohlzylindrischen Gehäuse rollten;, eine Art Käfig erhielt mit
dünnen Zäpfchen ihre Abstände. Anfangs ging die Sache sehr
gut, dann aber blieb ab und zu eine der Rollen stehen, bekam
eine Riefe und endlich war das Laufen in einer solchen der
gewöhnliche Zustand; der ganze Versuch misslang.“
Am 1. Juni 1853 suchte der Berliner Patentagent Prillwitz
in Preussen ein Patent auf ein kombiniertes Kugel- und Rollen-
lager (Abb. 21) nach. In die Akten machte der vom Minister
DIDI DIDIDIDIDI DIDI DIDIDIDIDIDI DIDI LH SIT)
33
emmm.
zum Gutachten aufgeforderte Technologe Brix die hier wieder-
gegebene Skizze. Das Patent wurde vom preussischen Minister
jedoch nicht erteilt (33).
Im Jahre 1853 meldete dann ein Amerikaner ein Kugel-
lager zum Patent an, das er für Eisenbahnwagen verwenden
wollte. Die Zusammenstellung dieses Lagers ist eine ganz
merkwürdige, denn der Erfinder war von dem Gedanken ge-
leitet, dass durch Abnützung des Lagers die Rollen in Unord-
E
SD
Abb. 23.
Stählerne Walzen, 1857.
nung kommen, deshalb hat er sich den Aussenring aus Gummi
gedacht, Stahlstücke als Speichen benutzt und die Zwischen-
wände auch mit Gummi ausgefüllt, damit sich das Lager auto-
matisch einstellte. Wohl wird diese Ausführung in Amerika
keinen grossen Erfolg gezeitigt haben. (Abb. 22.)
Am 27. November 1855 wurde für J. H. Johnson das eng-
lische Patent Nr. 2677 auf ein Kugellager eingetragen, „um die
Reibung durch kleine metallene Kugeln, die geschickt zwischen die
sich bewegenden Teile eines Gangspiels gelegt sind, zu vermeiden“.
Dass die Herren „Courtois, Tihay (oder Tibray) und Defrance
aus St. Die im Jahre 1857 das erste Patent auf Kugellager“
nahmen, ist bisher stets angenommen worden. Dass es schon
seit 1794 Patente auf Kugellager gab, haben wir vorhin gesehen.
oo oo © oo 099 00000008 ®©8
34
=== DIDI DICHT)
Aber auch sonst hat man das genannte Datum aus den 50er
Jahren gründlich verstümmelt. Es nahmen nämlich arm 23. Juni
1856 die Herren Defrance und Tihay aus Harsault das franzö-
sische Patent Nr. 28095 auf die „Anwendung der Kugel bei
Maschinen, als Mittel, die Bewegung derselben zu begünstigen
und die Maschinen dauerhafter zu machen“ (29).
In den fünfziger Jahren mehren sich die Patentanmeld-
ungen auf Walzen- und Kugellager in England so ausserordent-
Abb. 24.
Lager mit Schmierwalzen, 1857.
lich, dass es nicht möglich ist, all diese angeblichen Erfindungen,
die meist Wiederholungen oder unscheinbare Veränderungen
längst bekannter Konstruktionen sind, hier aufzuführen.
So nahm am 25. September 1856 C. Sayno das englische
Patent Nr. 2245 auf ein Lager, worin die Achse oder der Zapfen
auf Kugeln oder Zylinder aufgelegt wurde. Einen wesentlichen
Fortschritt finden wir im nächsten Jahre in dem englischen
Patent Nr. 85. Es wurde am 10. Januar 1857 an L. J. Brethon
erteilt und bezieht sich auf eine Lagerung für Mühlen. Be-
sonderen Wert legt der Erfinder darauf, dass die drei kleinen
Walzen i (Abb. 23) aus Stahl gefertigt werden. Die Rollen
sind durch ein Stahlband, also einen Käfig miteinander ver-
bunden und laufen oben und unten in Nuten.
D=
35
mmm DS
Ein Walzenlager, bei dem die unteren Walzen das Schmier-
material aus einem grossen Oelbehälter zur Achse hinaufzube-
fördern haben, erkennen wir auf der vorstehenden Abbildung,
Abb. 25.
Nachstellbares Kugellager, 1857.
die dem Patent von J. W. Pascal entnommen ist, das am
17. Februar 1857 unter Nr. 465 in England erteilt wurde. Der
Erfinder will hier anscheinend die Vorteile der Kettenschmierung
Abb. 26.
Konus-Spurlager, 1857.
beim Walzenlager erreichen. Die Kettenschmierung ist ein Vor-
läufer unserer heutigen Ringschmierung. Schon 1847 liess sich
Decoster in Paris das französische Patent Nr. 2957 auf Hänge-
oder Stehlager erteilen, bei denen eine kleine, über die Achse
mmm
36
Senna
hängende endlose Kette mit ihrem unteren Ende ständig in
Oel tauchte.
Das englische-Patent Nr. 1611 vom 9. Juni 1857, aus dem
die beiden Abbildungen 25 und 26 entnommen sind, ist be-
achtenswert, weil wir hier zum ersten Mal ein Konus-Spurlager
patentiert finden. Der Patentinhaber, Comte P. A. de Fontaine-
Abb. 27.
Nachstellbares Walzenlager, 1858.
Moreau, setzt bei horizontalen Achsen (Abb. 25) auf die Welle G
einen starken Ring R auf, in den eine Nute eingearbeitet ist,
die die Kugeln aufnimmt. In den Lagerbock und in dessen
Deckel ist die gleiche Nute eingearbeitet. Der Ring R ist im
Durchmesser kleiner als die kleinste Bohrung des Lagerbockes.
Infolgedessen ist das Lager ein wenig nachstellbar. Die An-
ordnung der Kugeln bei dem Spurlager ist aus Abb. 26 ohne
weiteres zu erkennen. Ein sehr sorgsam konstruiertes Walzen-
lager wurde am 9. Januar 1858 unter Nr. 42 für J. A.M. Chaufour
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87
mmm
in die englische Patentrolle eingetragen (Abb. 27). Der Erfinder
will das Lager für alle möglichen Maschinen verwenden. Er
setzt in die eiserne Achsbüchse P zwei eiserne Lagerschalen F
und G ein. Zwei Ringe E tragen die Rollen D. Durch einen
unter der Unterschale liegenden Keil S, der durch die Schraube T
angetrieben wird, soll das Lager nachgestellt werden. Aus einem
Oelgefäss L führt eine kleine Röhre K das Schmieröl zu den
Abb. 28.
Walzenlager mit Lederriemen, 1858.
Walzen. Wie wenig der Erfinder seinen Rollen traute, geht dar-
aus hervor, dass er den Wellenzapfen noch durch zwei feste
Lagerschalen H umspannen liess, „um das schnelle Verschleis-
sen und die Erschütterungen der Rollen D zu vermeiden“.
Der Ingenieur Brousseut zu Paris reichte bei der preus-
sischen Regierung 1858 ein Patentgesuch auf ein Walzenlager
ein, bei dem die einzelnen Walzen durch endlose Riemen von
Hanf, Leder oder Guttapercha im Abstand gehalten wurden
(Abb. 28); da das Gesuch nichts Neues enthielt, lehnte der
preussische Minister die Patenterteilung ab.
mmm [| [| [| [| [| [| | [SD
38
Eine Anwendung von
Kugeln oder Walzen für
sehr grosse Belastung
liess sich der Engländer
W.H. Ward am 15. No-
vember 1858 unter Nr.
2585 patentieren. Aus
unserer Abbildung 29
erkennen wir die An-
ordnung für eine Dreh-
scheibe bei Eisenbahnen,
doch werden auch so-
gar Drehbrücken, Dreh-
stände für schwere Mör-
ser oder für Festungs-
geschütze mit dieser Kon-
struktion in der Patent-
schrift erwähnt. Das auf-
fallende ist, dass der
Erfinder seine Kugeln
und Rollen hohl an-
fertigen will.
Dass man zur Lager-
ung schwerer Mühlsteine
zweckmässig Walzen oder
Rollen verwenden könne,
erwähnt R. A. Brooman
in seiner englischen Pa-
tentschrift Nr. 1908 vom
7. August 1860, ohne
jedoch auf Einzelheiten
einzugehen.
Bei einem Kugellager
für Radnaben oder für
Maschinenwellen, das
sich M. A. F. Mennons
am 27. August 1860 unter
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Lager mit hohlen Kugeln, 1858.
Abb. 29.
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39
emmm
Nr. 2057 in England patentieren liess, ist jede zweite Kugel
kleiner als die übrigen, „um die Friktion zu vermindern“.
Unsere Abbildung 30 zeigt nach der Patentzeichnung den Schnitt
einer mit diesen Kugellagern versehenen Radnabe. Der Zweck
dieser Anordnung ist, durch die kleinen Kugeln den Käfig zu
ersetzen.
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Abb. 30.
Lager mit kleinen und grossen Kugeln, 1860.
In einer Diskussion der Sitzung des Vereins für Eisenbahn-
kunde vom 14. Dezember 1897 bemerkte Exzellenz Wiebe, dass
er im Jahre 1861 auf einer landwirtschaftlichen Ausstellung in
Metz eine in Kugellagern laufende Windmühle gesehen habe (30).
Ein Rollen- oder Kugellager für Eisenbahnwagen liess sich
am 29. Januar 1862 W. E. Newton unter Nr. 240 in England
patentieren. Die Konstruktion ist aber nicht zweckmässig. — Ein
Kugellager für Schiffsschraubenwellen wurde 1862 von Charles
Perley in Amerika zum Patent angemeldet. Am 24. Februar
des folgenden Jahres erhielt Perley unter Nr. 37765 das ameri-
mmm
40
mmm
kanische Patent darauf. Wir sehen in unserer Abbildung 31,
dass es sich hier um ein mehrreihiges Kugellager handelt, das
auch den Druck der Schiffsschraube aufnehmen soll. Gegenüber
den früheren Konstruktionen, die wir hier sahen, weist dieses
Lager jedoch nichts Neues auf. Zur Aufnahme des Axialdruckes
ist die Konstruktion ganz zweckmässig.
Das folgende Patent, das der Beachtung wert ist, will die
Kugellager an Fahrrädern einführen. Der Vater dieser Idee, die
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Abb. 31.
Kombiniertes mehrreihiges Druck- und Radiallager, 1862.
erst weit später so überaus fruchtbar wurde, ist A. L. Thirion,
der am 16. Mai 1862 unter Nr. 1485 ein englisches Patent auf
Kugel- oder Kegellager erhielt, die für Eisenbahnen, gewöhnliche
Wagen, Karren oder „velocipedes“ bestimmt waren. Den Ge-
danken des Fahrrad-Kugellagers hatte Thirion also unzweifelhaft
zuerst ausgesprochen. Wie unglücklich es aber mit der Kon-
struktion dieses Lagers bestellt war, ersehen wir aus der nach-
stehenden Abbildung 32.
Der Erfinder schaltet in zwei verschiedenen Anordnungen
Spurlager zwischen Wagengestell und Räder ein, um den Druck
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41
san
aufzunehmen. Die in der unteren Figur von Thirion angegebene
Konstruktion, bei der die Kugeln auf einem Teller aufliegen,
der seinerseits erst auf einem Wulst der Achse liegt, hat sich
noch lange erhalten. Man findet wenigstens in den ausländischen
Patentschriften immer wieder Konstruktionen dieser umständ-
lichen Art.
Abb. 32.
Erstes Kugellager für Fahrräder, 1862.
Ein mehrreihiges Konuslager, bei dem zwei Kugelreihen
auf einer dritten laufen, liess sich W. Clark am 12. Februar 1863
unter Nr. 382 in England patentieren. (Abb. 33.)
Wie Ward 1858 sich ein Spurlager für Drehscheiben paten-
tieren liess (Abb. 29), so nahm C. Greenway am 4. Oktober
1864 das englische Patent Nr. 2445 auf ein Walzenlager, durch
das die senkrechte Welle der Drehscheibe seitlich gestützt wird
(Abb. 34).
Am 14. November des gleichen Jahres liessen sich N. Bailly,
C. Durand, G. H. Mesnard und Z. Poirier unter Nr. 2855 ein
englisches Patent auf ein Kugellager eintragen. Es ist deshalb
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42
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Abb. 33,
Mehrreihiges Konuslager, 1863.
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j Abb. 34.
| Walzenlager für Drehscheibe, 1864.
Dm I DIT DI ST SI)
43
SO [un
interessant, weil in der Patentbeschreibung bereits das Wort
„cage“ (Käfig) vorkommt. Der Käfig ist in der Abbildung 35 mit
D bezeichnet. Er besteht aus einem Rohr, das an beiden Enden
kronförmig ausgeschnitten ist, sodass die Kugeln E von den Kron-
zacken leicht umschlossen werden. Infolge dieser Konstruktion
müssen die Erfinder den Käfig durch zwei weitere, kleinere
Kugelringe C zentrieren. Aus diesem Patent geht hervor, dass
die Bezeichnung Käfig nicht erst, wie man allgemein annimmt,
von Reuleaux gebildet wurde.
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Abb. 35.
Kugellager mit „Käfig“, 1864.
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Antoine Baron de Gablenz liess sich am 6. April 1866 das
englische Patent Nr. 989 eintragen, das wiederum jene umständ-
liche Tellerlagerung der Kugeln zeigt (Abb. 36), die wir schon bei
dem ersten Patent für Fahrradkugellager (Abb. 32) kennen lernten.
Das Jahr 1867 wird vielfach als das Einführungsjahr der
Kugellager in die damals noch aus Holz gebauten Fahrräder
genannt. Ob diese Annahme wirklich zutrifft, vermag man aus
der leider sehr unkritisch geschriebenen älteren Fahrradliteratur
nicht zu ersehen. Ernest Michaux, der französische Pionier des
Fahrradbaues, nahm zwar am 24. April 1868 das französische
Patent Nr. 80637 auf die Verbesserung von Wagen und Tret-
maschinen, doch ist in der sehr knappen Patentbeschreibung
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44
Dm
nichts von Kugellagern zu finden. Vollständig unrichtig aber ist
die Angabe, dass W. Bown im Jahre 1868 die Kugellager an
Fahrrädern verwandt habe. Es liegt hier eine alte Verwechselung
mit dem Jahr 1879 vor. Wir werden noch später von Bown
hören.
Einer der ältesten deutschen Konstrukteure von Kugellagern
ist der jetzt noch lebende ehemalige Direktor der Kgl. Fachschule
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Abb. 36.
Kugellager, 1866.
zu Siegen Hermann Haedicke. Als Kgl. Marine-Maschinenbau-
Unteringenieur und Betriebsingenieur auf der Kgl. Werft zu
Danzig baute Haedicke im Jahre 1868 unter einen Panzerdreh-
turm Kugellager ein. Der Turm stand auf dem ehemaligen
französischen Panzerschiff „Cheops“, das dann in Preussen
„Prinz Adalbert“ hiess. Haedicke verwandte hier Kugellager mit
abwechselnd kleinen und grossen Kugeln (31).
Der Franzose J. Suriray in Paris, der zu Melun eine Fabrik
für Bilderrahmen besass, war anscheinend der erste, der Kugel-
===>>
45
mmm
lager zu Fahrrädern anwandte. Suriray war also Rahmenfabrikant,
aber nicht — wie man stets liest — Fabrikant von Fahrrad-
rahmen; denn die Massenfabrikation solcher Gestelle hätte sich
damals wohl nicht recht gelohnt. Baudry de Saunier, der Ver-
fasser der Histoire generale de la velocipedie, (32) berichtet uns
-
{À
Abb. 37.
Lager mit Stahlkugeln und Gussring, 1869.
an Hand der nebenstehenden Abbildung 37 von dem Surirayschen
Fahrradlager, das dem Erfinder am 2. August 1869 unter
Nr. 86680 in Frankreich patentiert wurde. Bemerkenswert ist,
dass der Patentanspruch auf „Lager mit Stahlkugeln“ lautet.
Diese Stahlkugeln liefen in einem Gussring, der von der Eisen-
nabe umschlossen wurde. Es wird von diesem Lager berichtet,
dass es ausgezeichnet gearbeitet habe.
Im Jahre 1879 wandte sich ein gewisser Gottheil an die
preussische Regierung, um aufein von ihm angeblich erfundenes
mmm
46
mmm
Walzenlager ein Patent zu erhalten. Das Lager bestand, wie wir
aus Abb. 38 nach einer Skizze der Akten ersehen, aus zwei Ringen
von Walzen. Jede Walze war in der Mitte eingedreht, um hier
ein Gummiband aufnehmen zu können. Das Patent wurde je-
doch nicht erteilt (33).
Eine interessante Konstruktion zeigt M. Benson in seinem
englischen Patent Nr. 332 vom 8. Februar 1871. Es wird hier
Abb. 38.
Walzenlager mit Gummiband, 1870.
nämlich ein Spurlager mit Käfig für Kugeln in der Weise her-
gestellt, dass die durchbohrten Kugeln auf den Armen eines
Sternes aufgesteckt sind. Die Konstruktion soll besonders für
Krane, Mühlsteine und Turbinenwellen geeignet sein.
Die Firma Friedrich Krupp in Essen verwendete seit 1871
auch tatsächlich Kugeln an Hebezeugen und anderen Maschinen.
Seit 1885 kamen durch Krupp Kugellager unter die Lafetten von
Schiffsgeschützen.
Am 9. Mai 1873 liess sich Georg Weickum in Budapest das
englische Patent Nr. 1685 auf den Namen seines Vertreters
C.D. Abel eintragen, das sich auf Walzen- und Kugellager für
Eisenbahnfahrzeuge bezog. Wesentlich Neues enthält das Patent
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47
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Abb. 39.
Spurlager mit Sternkäfig und durchbohrten Kugeln, 1871.
Abb. 40.
Erstes deutsches Patent auf Kugel- und Walzenlager.
mmm
48
mmm
nicht. Die ihm nachgerühmte kronförmige Gestaltung des Käfigs
lernten wir schon aus unserer Abb. 35 vom Jahre 1864 kennen.
In Deutschland erhielt Weickum am 11. Juli 1877 unter Nr. 1503
allerdings das „erste“ Patent auf Kugellager, weil das deutsche
Patentgesetz erst im Jahre 1877 in Kraft trat. Aus diesem Grunde
ATS N) LENZ
TG
Gr
IN:
Abb. 41.
Staubdichtes, nachstellbares Kugellager für Fahrräder
von Bown, 1879.
mag die Weickumsche Konstruktion (Abb. 40) weit über ihre Be-
deutung hinaus bekannt geworden sein.
Wir kommen nun zu dem schon erwähnten, irrtümlicher-
weise meist auf 1868 datierten Kugellager von W. Bown in
Birmingham. Es wurde ihm, wie schon angedeutet, selbst in
England erst am 29. Januar 1879 unter Nr. 369 erteilt. Bown
bemerkt in seiner Patentschrift, dass er der rechtmässige Inhaber
des Kugellagerpatentes für Fahrräder sei, das für J. H. Hughes
am 9. September 1877 unter Nr. 3531 in England eingetragen
emmm.
49
scan
wurde. Es ist also nicht anzunehmen, dass Bown schon 1868
irgendwo ein Kugellagerpatent genommen habe. Dass, wie man
sogar liest, 1868 ein deutsches Patent an Bown erteilt wurde,
ist schon deshalb unmöglich, weil es damals kein deutsches
Patentgesetz gab. Die Patente der deutschen Einzelstaaten (Preus-
sen, Bayern, Sachsen usw.) liegen aber bis heute zum grössten
Teil noch versiegelt in den Archiven. Soviel Feldhaus bei der
E
EW
NV, LQ
Abb. 42.
Aeolus-Lager von Bown, 1886.
Durchsicht des preussischen Patentregisters feststellen konnte,
kommt ein W. Bown dort überhaupt nicht vor. Da die preussischen
Patente nicht nach Jahren, sondern alphabetisch geordnet sind,
müsste man heute über 800 Aktenbündel öffnen, um festzustel-
len, ob und wann in Preussen irgend jemand ein Kugel- oder
Walzenlagerpatent nachgesucht habe. Es ist höchst wahrscheinlich,
dass sich bei einer solchen Nachforschung derartige Konstruktionen
finden würden. Hatte Feldhaus doch das Glück, bei einem
flüchtigen Versuch zur Auffindung eines preussischen Kugel-
lagerpatentes das erste Krupp-Patent (1847) und das erste
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50
mmm an
Siemens-Patent (1842) in ihren Originalversiegelungen aufzu-
finden (34). Bowns Kugellager ist hier in Abb. 41 nach der
Patentschrift wiedergegeben. Die Kugeln F werden von stählernen
Lagerschalen aufgenommen, die nachstellbar sind und eine
Uebergangsform zum Ringlager zeigen. Gegen diese Lagerschalen
stülpen sich von aussen her zwei Schalen G, um den Staub
abzuhalten.
Nach verschiedenen Wandelungen ging aus diesem Lager
das Bown’sche „Aeolus-Lager“ für Fahrräder hervor (Abb. 42).
Die Kugeln wurden von der Seite her eingeführt und liefen auf
Abb. 43.
Humberlager, 1889.
der hohlen Achse in einer Rille. Der äussere Ring war zwei-
teilig. Die Nachspannung erfolgte durch Zusammenpressen der
beiden äusseren Laufringe. Das Aeolus-Lager fand im Fahrrad-
bau die weiteste Verbreitung.
Neben diesem schon recht gut konstruierten ringähnlichen
Lager hielt sich das Humber-Lager (Abb. 43), weil es in den
berühmten Niederrädern der Humber-Werke Verwendung fand.
Für Fahrräder viel angewandt wurde das Pihlfeldt-Patent
von 1882, dessen praktische Ausführung aus Abb. 44 zu
sehen ist.
Der schon hier (Seite 49) genannte Hughes führte für
Fahrräder ein Rollenlager praktisch aus, das wir in Abb. 45
sehen. Neben diesem Rollenlager benutzte man in Fahrrädern
damals noch das gleichfalls hier abgebildete Colemansche Patent-
lager (Abb. 46).
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51
mm === ==
Wie gewaltig die Zahl der Kugellagerpatente zu Beginn der
80er Jahre stieg, sieht man aus den in England erteilten Patenten.
Es finden sich auf Kugellager verteilt:
1877 3 Patente 1880 14 Patente
1878 6 5 1881 17 5
1879 11
MO
Mer
ZA
125
Abb. 44.
Pihlfeldt Kugellager, 1882.
Gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts begann man
denn auch, die Kugellager theoretisch zu betrachten. Eine der
ersten Arbeiten veröffentlichte R. Frank im Jahre 1899 in Band 314
von Dinglers Polytechnischem Journal. Frank erhielt zahlen-
mässige Grundlagen für die Beurteilung der Abmessungen in
bezug auf die durch die Reibung hervorgerufene Abnutzung.
Neben Frank war damals Professor R. Stribeck, Direktor der
Zentralstelle für wissenschaftlich-technische Untersuchung in Neu-
Babelsberg bei Potsdam, mit der Untersuchung der Kugellager
beschäftigt. Die erste Veröffentlichung Stribecks erfolgte in den
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52
Dm SICHT >)
Mitteilungen der vorerwähnten Zentralstelle (Heft I, Mai 1900).
Es ergab sich aus den Versuchen, dass als Laufringe für schwere
Lager nur der volle Ring als günstig angesehen werden kann.
Abb. 45.
Abb. 46.
Rollenlager von Coleman.
Durch die Stribecksche Veröffentlichung, die im folgenden Jahr
als zweites Heft der vom Verein Deutscher Ingenieure herausge-
gebenen „Mitteilungen über Forschungsarbeiten“ eine weitere
Verbreitung fand, wurden die Konstrukteure zur Ausgestaltung
ss [acc À== © 2
53
so [cc
des Ringlagers gedrängt. Eine weitere Arbeit über diesen Gegen-
stand von Stribeck, der ein Vortrag vom 5. Dezember 1901 im
Württembergischen Bezirksverein zu Grunde lag, kam im 46. Band
der Zeitschrift des Vereins Deutscher Ingenieure und nachher im
7. Heft der „Mitteilungen über Forschungsarbeiten‘ zum Abdruck.
Ausserordentlich schwierig gestaltete sich die Lösung der
Frage, wie man die Kugeln in einen geschlossenen Ring ein-
bringen könne. Am nächstliegenden war es, eine Einfüllöffnung
anzubringen und diese hernach durch einen Keil oder eine Schraube
zu verschliessen. Dass dieser Gedanke nicht neu war, wissen wir
aus unserer Abb. 14, die uns eine Einfüllöffnung mit Keilver-
schluss aus dem Jahre 1794 zeigt. Das D.R.P. 168499 vom
24. Februar 1903 beschritt einen neuen Weg, indem nach diesem
Verfahren die Kugeln bei exzentrisch gestelltem Ring auf der
einen Seite eingefüllt wurden. Zwischen je zwei Kugeln brachte
man dann kleine Federn an, die eine gleiche Distanz der Kugeln
herstellten. Diese mit je 2 Platten versehenen Distanzfedern
bildeten natürlich eine grosse Gefahr für den ruhigen Lauf des
Lagers.
Zur höchsten Vollkommenheit gelangte das Kugellager aber
erst durch die Konstruktionen Sachs, Malicet & Blin und Höpflinger
aus den Jahren 1903 bis 1905, die sowohl das Einführen und
Festhalten der Kugeln im Lager, als auch die Anbringung von
Kugelkörben, welch letztere sowohl die schädliche Gegenreibung
der Kugeln aneinander aufhoben, als auch eine fast vollständige
Füllung der Lager mit Kugeln ermöglichten. Ebenso verfügen
noch massgebende Firmen in der Kugellagerbranche über einige
führende Patente.
Die Firma Fichtel & Sachs besitzt über 100 weitere In- und
Auslandspatente über Kugel-Rollenlager und Führungsringe.
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56 EUGEN HUTZLER, REUTLINDEN
Fichtel u. Sachs Geschichte der Kugel-Lager Broschüre 1914
- Von
- 1914
- Seiten
- 58
- Art
- Werbematerial
- Land
- Deutschland
- Marke
- Fichtel und Sachs
- Quelle
- Heinz Fingerhut
- Hinzugefügt am
- 25.01.2020
- Schlagworte
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